Übrigens …

I Due Foscari im Oper Bonn

Fortsetzung mit frühem Verdi

Der Spielplan der Oper Bonn ist in dieser Saison extrem mutig - die letzte Premiere wird im Juni Hermann von Waltershausens Oberst Chabert sein. Mit I due Foscari schloss jetzt ein Zyklus früher Verdi-Opern, welcher zuvor Giovanna d’Arco, Jérusalem und Attila bot. Mit Les Vêpres Siciliennes wird man in der nächsten Spielzeit in die mittlere Schaffensperiode wechseln. Hinzu kommen unter anderem noch eine Uraufführung (Jonathan Doves Marx in London) und Janaceks Sache Makropoulos sowie ein Lohengrin, der wegen des Regisseurs Marco Arturo Marelli von besonderem Interesse ist. Die Bonner Verdi-Pflege besticht auch durch ihre Kontinuität. Nicht nur eine Rosine hier und da, sondern eine gezielte Chronologie (bei durchaus gerechtfertigten Auslassungen), so dass man die sich entwickelnde Musiksprache des Komponisten verfolgen kann. Den Foscari mangelt es sicher nicht an dramatischem Aplomb mit blechgepanzerten Ausbrüchen, aber der Ausdruck insgesamt ist ein vergleichsweise verhaltener. Das hat mit Verdis Rückgriff auf das Drama Lord Byrons zu tun, welches die beiden im Titel genannten Protagonisten - den alten Dogen Francesco und seinen Sohn Jacopo - ein wenig in Passivität verharren lässt. Treibende Kraft in der Handlung ist Lucrezia, welche sich schützend an die Seite ihres zur Verbannung verurteilten Gemahls stellt (dessen Schuldlosigkeit erweist sich erst gegen Ende). Verdi erkannte selber diese psychologisch nicht unbedingt günstige Konstellation und redete auf seinen Librettisten Francesco Maria Piave ein, er möge das Sujet bühnenwirksam anreichern („Versuche etwas zu finden, was Radau macht“) In Bonn macht Will Humburg am Pult des Beethoven Orchesters sicher keinen Radau, aber er nutzt jede Gelegenheit, dramatische Konturen in der Musik aufzudecken. Sein überaus gestisches, fast schon vampirhaft zu nennendes Dirigieren ist immer wieder ein Ereignis für sich. Es ohne Schutz der Wand zum Orchestergraben ständig vor Augen zu haben, könnte vielleicht nervös machen. Aber jetzt sieht man nur die Vulkan“spitze“, und die fasziniert das Auge. Verdi und Humburg - das ist ein sicheres Bonner Kapital. Während in der späteren Dogen-Geschichte Verdis (Simon Boccanegra) der Protagonist zwar auch zu Tode kommt (durch das Gift eines politischen Gegners), aber doch noch in der Lage ist, sein Regierungsamt einem Jüngeren zu übergeben, stirbt der junge Foscari auf dem Weg in seine Verbannung (in Bonn: Pistolen-Selbstmord). Der Vater tut es ihm nach, nachdem ihm bewusst wird, dass die Opposition (intriganter Anführer: Loredano, Mitglied im Rat der Zehn) seine politischen Ideale nicht mehr akzeptiert. Er selber war sogar bereit gewesen, seinen Sohn - mit Vertrauen auf ein ausgleichendes Jenseits - dem Glück des venezianischen Staates mehr oder weniger zu opfern. Verdis oft stark historisch gebundene Stoffe in ein glaubwürdiges Heute zu überführen, ist heikel, kann sich aber sicher nicht darin erschöpfen, die Darsteller in moderner Kleidung auftreten zu lassen. Es gilt, vergangene Zeiten und unter Umständen auch vergangene Moralvorstellungen auf heutige Verhältnisse zu projizieren. Gelungen ist dies im März Jens-Daniel Herzog bei seinem Dortmunder Nabucco nahezu exemplarisch. In Bonn bietet Piero Vineiguerra mit seiner Ausstattung ein modernistisches Ungefähr. In nüchternen, durch die Drehbühne hin und wieder bewegten Räumen beginnt Philipp Kochheims Inszenierung mit neutraler Lebendigkeit (TV-Kameras und Ähnliches). Ansonsten fällt dem Regisseur aber nicht sonderlich viel ein. Immer wieder Stehtheater hier, beliebige Chorführung dort. Die beiden Kinder von Lucrezia und Jacopo sorgen für etwas Rührung, wenn sie vor „Gericht“ mit einem Püpplein spielen. Im Schlussbild wird die Intrigenschaft von Loredano evident, doch bloßes, aggressives Sektspritzen verkleinert die Figur doch erheblich. Leonard Bernad verfügt über eine verlässliche und sonore, aber nicht gerade schaudern machende Bassstimme, was seiner Partie aber angemessenes Gewicht zu geben hätte. Bei den kleineren Rollen fällt Christian Georg (Barbarigo) am ehesten auf. Felipe Rojas Velozo (Jacopo) eignet vielleicht kein ausgeprägt verführerisches Tenortimbre, aber sein Gesang bietet Flexibilität und Höhenglanz, besticht zudem durch dynamische Finessen. Lucio Gallo stehen alle Töne seiner Rolle (Francesco) sicher zur Verfügung, und er prägt den Charakter seiner Partie sinnfällig. Baritonales Prunken mag man vermissen, aber das würde dem Rollenalter des 80jährigen Dogen auch zuwider laufen. In Köln wird Gallo ab Juni übrigens wieder als Falstaff zu erleben sein. Das Ereignis des Abends ist Anna Princeva als Lucrezia. Ihr vervehafter Sopran hält jeder auch noch so hybriden Anforderung von Verdis Oper stand. Zur Bravour gesellt sich Ausdrucksnoblesse und emotionale Tiefe. Berechtigter Beifall auch für den von Marco Medved einstudierten Chor. Der Regisseur wurde beim Schlussapplaus freundlich akzeptiert. Die Bonner haben ja ein so offenes Herz.