Ich wollt‘ ich wär‘ ein Huhn
Cimarosas bekannteste Oper, Il matrimonio segreto (Die heimliche Ehe), hat ein wechselvolles Schicksal durchlebt. Bei der Uraufführung 1792 mußte sie auf Verlangen von Kaiser Leopold II. wiederholt werden (allerdings nicht am Premierenabend, sondern gemäß neuesten Forschungen nach der zweiten Vorstellung). Wie auch immer, eindeutig ist der spektakuläre Erfolg des Werkes, der sich bis weit ins 19. Jahrhundert hinein fortsetzte. Später freilich sank das Interesse, und es häuften sich besserwisserische Bearbeitungen. Erst nach 1945 gab es einen neuen Aufschwung, wobei Aufführungen an der Piccolo Scala (1955) und in Köln (1979, auf deutsch) markante Stationen sind. Nach 30 Jahren also eine neue Inszenierung, nicht wirklich home-made, sondern eine Übernahme von den Festwochen der Alten Musik Innsbruck 2016. Dieses kostensparende Prinzip bewährt sich immer wieder. Im aktuellen Falle kommt hinzu, daß die Inszenierung von Renaud Doucet einen besonders koketten Interpretationsansatz wählt, den man gerne kennengelernt hat. Anmerkung des Regisseurs: „Beim Hören von Cimarosas Musik kam uns die Idee, das Geschehen dieser Oper in einem Hühnerstall aus dem 18. Jahrhundert anzusiedeln. Inspiriert durch viele musikalische Einsatzzeichen, wie das konstante Gezänk, lassen uns die Charaktere an Geflügel auf einem Bauernhof denken.“
Man mag bei dieser Aussage zunächst an fatale Konzepte des sogenannten Regietheaters denken, aber das trifft hier nicht zu; das leicht verrückte Ambiente erweist sich vielmehr äußerst animierend für die Augen. André Barbe bietet ein putziges Stalllabyrinth in Schwarz-Weiß-Manier. Nach dem tieferen Sinn der Büchertreppe hinaus zum Zimmer Carolinas muß man nicht unbedingt fragen, auch andere Teile des Dekors genügen sich mitunter selbst. In diesem Umfeld wirken die äußerst farbenfrohen und witzig auf das Federvieh anspielenden Kostüme und Perücken überaus kraftvoll. Die nach hinten geweiteten Krinolinen der Damen geben das meiste Anspielungspotential her.
Erfreulich ist es, daß das Hühnerstall-Konzept nicht zu Tode geritten wird. Von einigem Kikeriki hier und da abgesehen gewinnt es absolut menschliche Züge, spielt witzig auf Bildmetaphern in der Musik an. Andererseits: auch wenn die drei Anfangsakkorde der Ouvertüre an die Zauberflöte denken lassen: von Mozarts Seelenmusik ist Cimarosas Oper nun doch um Grade entfernt. Sie greift eher kompositorische Mechanismen eines Rossini auf, ohne wiederum dessen Ausdrucks-„Wahnsinn“ zu erreichen, mit dem er so manche Ensembles und Finali prägt. Bei der dreistündigen Aufführung empfindet man denn auch einige Längen.
Aber Cimarosa ist auch wieder sehr zu loben. Bei ihm erlebt man einen sicher nur maßvoll individuellen Stil, aber es gibt instrumental viel Fantasievolles, mitunter deutet sich sogar Experimentelles an. Daß dies überzeugend zum Klingen gebracht wird, dankt man dem fantastischen Gianluca Capuano, welcher in Köln u.a. schon mit konzertanten Aufführungen von Vivaldis Catone in Utica (Concerto Köln) und zuletzt mit Florian Leopold Gassmanns Gli uccellatoi (szenisch, mit dem jetzt auch bei Matrimonio segreto aufspielenden Gürzenich-Orchester) zu erleben war. Der Cimarosa-Musik verleiht er mit seiner akribischen Zeichengebung federnde Präzision und vibrierende Klanglockerheit.
Die Inszenierung hat fraglos etliche Opera-Buffa-Klischees zu bedienen und tut das auch mit Gusto. Nicht überall waltet psychologische Stichhaltigkeit, manche Komik wirkt auch etwas leerläufig wie bei den immer wieder auftauchenden Bediensteten und Akrobaten. Aber das Handlungsgeschehen gewinnt sich solcherart visuelle Qualitäten, und die ständigen szenischen Turbulenzen unterfüttern den Abend komödiantisch köstlich.
Aus Innsbruck wurden Donato Di Stefano (Kaufmann Geronimo) und Renato Girolami (Graf Robinson) übernommen, Sängerkomödianten alle beide. Da stimmt jede darstellerische Geste, jede vokale Pointe. Nach der Marie in Zimmermanns „Soldaten“ scheint sich Emily Hindrichs bei ihrer „bösen“ Elisetta regelrecht zu erholen: ein fieses Girl mit erotischen Defiziten, großartig nicht zuletzt in ihrer von Mozarts Marten-Arie an Koloraturschwierigkeiten kaum überbotenen Szene im 2. Akt. Anna Palimina, inzwischen nur noch Gast in Köln, ist Sopransüße in Person und gibt der Carolina auch darstellerisch entzückende Umrisse. Der Auftritt von Jennifer Larmore ist ein lokales Debüt. Für die liebestolle Fidalma besitzt ihr gereifter Mezzo die optimale Farbe. Schon jetzt darf man sich auf ihre Großherzogin von Gerolstein in der nächsten Saison freuen. Für den Liebhaber Paolino könnte man sich vielleicht ein etwas geschmeidigeres Timbre vorstellen, als es Norman Reinhardt zur Verfügung steht. Aber der angenehm schlanke Sänger kompensiert das unschwer mit tenoraler Verve und äußerster Spielfreude.