Zwischen Tingeltangel und betörendem Liebestod
Der erste Auftritt zum Saisonstart gehört dem Intendanten. Heribert Germeshausen, neuer Opernchef in Dortmund, spricht vor der Aida-Premiere ein paar Grußworte, nun gut. Doch sein Prolog enthält nicht nur Floskeln. Vielmehr fallen zwei bemerkenswerte Sätze: „Sinnstiftender als hier können Sie Ihre Zeit nicht verbringen“, sagt er und demonstriert so jede Menge Selbstbewusstsein. Die andere Einlassung bezieht sich unmittelbar aufs Bevorstehende: Giuseppe Verdis Aida werde „im Faltenwurf der italienischen Oper“ inszeniert. Das klingt nicht gerade nach einer revolutionären, gegen den Strich gebürsteten Deutung. Doch eigentlich bleibt dieser Satz ziemlich kryptisch. Zumal Germeshausen jüngst in einem Interview mit dem Magazin „kultur.west“ davon sprach, alle Regisseure zeichneten sich durch große theatralische Sinnlichkeit aus, um kurz darauf festzustellen, „wir zeigen modernes Regietheater“.
Sollte also die Lesart des Regisseurs Jacopo Spirei irgendwo zwischen Tradition, Emotion und Gegenwartsbezug zu verorten sein? Nun, diese Aida wirkt in ihrer optischen Anmutung überwiegend abstrakt, zeichnet andererseits die flutenden Gefühlswelten oft mit abgestandenen Operngesten und mancher Rampensteherei nach, nimmt zudem den wuchtigen Chorszenen das Pompöse, karikiert sie bisweilen, politisiert sie auch ein wenig. Dieser Melange fehlt offensichtlich eine Richtung, ein Ziel: Verdis Drama um die Utopie einer Liebe, die zwischen die Mühlsteine der Staatsraison gerät und im Liebestod erst Erlösung findet, fokussiert sich weder auf ein beklemmendes Kammerspiel noch etwa auf scharfe Abgrenzung von Öffentlichem und Privatem.
Die Kardinalfrage freilich ist, etwas überspitzt formuliert: „Wie hältst Du’s mit den Elefanten“? Verdis Vierakter, geschrieben im Auftrag des ägyptischen Vizekönigs Ismail Pascha, eine fiktive Geschichte erzählend aus dem uralten Pharaonenreich am Nil, sparte bei der Uraufführung 1871 in Kairo nicht mit Opulenz, mit historischem Interieur, prächtigen Kostümen. Das „Spektakel“, visualisiert vor allem im Triumphmarschrausch, hat sich bis heute gehalten. Vor allem Open-Air-Produktionen scheuten nicht davor zurück, ja, auch Elefanten einer Massenstatisterie hinzuzufügen. Dem steht manch radikale Demaskierung gegenüber: Ägyptens Truppen, angeführt von Radamès, als blutrünstige Soldateska, die die gefangenen Äthiopier wie Sklaven behandelt. Bebildert wahlweise mit Nazi-Anspielungen oder Kolonialherrengehabe.
In Dortmund indes geht es vergleichsweise harmlos zu. Das Militär tagt an einem riesigen Konferenztisch, die Szene hat etwas zutiefst Sachliches, nur die „Guerra!“-Rufe zeugen von einer trunkenen, abstoßenden Kriegsbegeisterung. Später, wenn das Volk Radamès’ Sieg über die Äthiopier feiert, sieht das sehr nach Tingeltangel aus. Ausstatter Nikolaus Webern verzichtet dabei konsequent auf jede altägyptische Anmutung, wuchtet nur mächtige, verspiegelte Wände auf die Bühne. Lediglich Sarah Rolkes Kostümauswahl lässt manch güldenes Gewand zu, neben einigem „Roaring Twenties“-Glitter und martialischen Uniformen, die einzelne Krieger wie Cyborgs aussehen lassen.
Ganz und gar verunglückt ist allerdings die Figur des Königs. Er mag als Karikatur gedacht sein, dieser flippige, arrogante Popstar, eine Mischung aus Elvis und Streetdanceboy. Wirkt aber mächtig albern und deplatziert, wenn er etwa gönnerhaft den Arm um seinen besten Krieger legt. Immerhin wird hier zumindest angedeutet, dass Radamès im Grunde ein Einsamer ist, nicht weniger als die äthiopische Königstochter Aida. Beider Liebe findet erst im Tod Erfüllung und, szenisch gesehen, im eindringlichsten Bild der gesamten Aufführung: matte Spiegelscheiben begrenzen immer mehr ihren Raum, bis sie in einer Art Aquarium des Endes harren, lichtblau angestrahlt.
Dazu Verdis wunderbar zarte Sehnsuchtsmelodik, die Dortmunds Philharmoniker sanft aufglühen lassen, so wie sie schon im kurzen Vorspiel mittels ätherischer Schichtung eine Atmosphäre schaffen, die auf Erlösung durch Transzendenz hindeutet, wie sie zu Beginn des Nil-Aktes Verdis filigrane Ornamentik aufs Feinste nachzeichnen. Ähnlich dicht und stimmungsvoll geraten allerdings nur noch die Szene der Amneris und die Priesteranklage im vierten Akt, der musikalische Wechsel zwischen Leidenston, dramatischem Aufbegehren und orthodoxer Strenge. Hier hält Dirigent Gabriel Feltz die dynamische Balance, die den Sängern genügend Freiraum lässt, die aber oft genug kippt in eine hölzerne Lautstärke. Und abrupte Tempowechsel lassen manche Chor- und Ensembleszene unschön klappern, da ist noch Feinjustierung gefragt.
Gerade Hector Sandoval als Radamès, vor allem Elena O’Connor (Aida), bisweilen auch Hyona Kim, die listig-eifersüchtige Amneris, brauchen einen Dirigenten, der sie durchweg trägt. Sie würden auch besser durchdringen, entgingen der Flucht an die Rampe, wären die Räume nur kleiner. Denn dieses Trio kennt durchaus die glühende Emphase, den Verzweiflungston. Ihr piano aber versackt oft im allzu satten Orchesterklang, zumal der Sopran O’Connors und der Mezzo Kims in tiefer Lage schwächeln. Wärend Sandovals Tenor zwischen Heldentum, eng geführter Stimme und teils brüchiger Höhe pendelt. Denis Velev wiederum (Der König) singt mit etwas grobem Bass, Shavleg Armasi gibt den gut fundierten, fast stoischen Oberpriester. Furios und charakterstark präsentiert sich zudem Mandla Mndebele als Aidas Vater Amonasro, mit kräftigem Bariton.
Aida in Dortmund: Die Regie entpuppt sich als diffus, musikalisch wird manches Potenzial verschenkt. Kein großer Wurf. Gleichwohl, die Saison ist noch lang. Wir bleiben gespannt.