Salome im Köln, Oper

Aufstand der Frauen

Noch immer hat man in Köln Katharina Thalbachs Salome-Inszenierung von 2004 in Erinnerung, welche mit ihren neuen Deutungsimpulsen die so vertraute, herkömmliche Handlung ungemein aufregend machte. Bei der Besetzung (u.a. Dirigent Markus Stenz und Bernd Weikl als Jochanaan) sorgte Camilla Nylund mit ihrem Rollendebüt für eine regelrechte Sensation. Trotzdem: Nach 14 Jahren scheint es an der Zeit, das Werk in einer variierten Lesart anzubieten.

Zudem gibt es eine besondere Konstellation hinsichtlich des Dirigenten. Gerade hat Francois Xavier Roth seinen Vertrag als GMD des Gürzenich-Orchesters bis 2022 verlängert, eine Entscheidung, welche allseits Begeisterung auslöste. Mit dem ehemaligen SWR Sinfonieorchester hat Roth sämtliche Tondichtungen von Richard Strauss aufgenommen, da war der Wunsch auch nach einer Oper verständlich. Der Dirigent entschied sich für Salome als frühestem Bühnenopus (wenn man von den dramatischen Gehversuchen Guntram und Feuersnot absieht). Roth über das Werk: „Es ist wie eine Droge. Wir kommen da an eine emotionale Grenze.“

Ansehen tut man ihm das beim Dirigieren indes nur bedingt. Roths Gestik wirkt eher kontrolliert als gefühlsausufernd. Dieses leichte „Understatement“ bewirkt aber eine ganz eigene Art von drängender Darstellung. Dynamische Akzente werden akribisch realisiert, klangprägende instrumentale Phrasen sinnfällig geformt. Zwei faszinierende Strauss-Stunden, auch dank des brillianten Orchesters.

Mit dem Regisseur Ted Huffman hat Köln einen guten Griff getan; nach Frankfurt (Händels Rinaldo) arbeitet der junge New Yorker erst zum zweiten Mal an einem deutschen Opernhaus. Noch vor der Beschreibung seiner Inszenierung muss unbedingt die Bühnenarchitektur erwähnt werden. Ben Baur, mitunter ebenfalls als Regisseur arbeitend, hat die hohen quadratischen Säulen des „Staatenhauses“ (zur Erinnerung: dieses Gebäude dient wohl noch bis 2023 als Ausweichspielstätte) in sein nach hinten schräg zulaufendes Szenenbild übernommen und mit einer ausladenden Treppe ergänzt. Erstaunlich, welche immense Imagination diese relativ kühle Architektur besitzt. Auf einer erhöhten Plattform rechts befindet sich das Orchester, wobei ein besonderer akustischer Vorteil bei dieser Sitzordnung allerdings nicht auszumachen ist.

Keine heutige Salome-Inszenierung wird die im frühen Christentum angesiedelte Handlung noch historisch exakt erzählen wollen. Dabei stellt sich natürlich die Frage, ob die jeweils gewählte Alternative einen wirklich triftigen Ersatz bietet. Optisch wird in Köln ein „fiktives 20. Jahrhundert“ gewählt (gilt auch für die Kostüme von Annemarie Woods), derart fiktiv sogar, dass die retrospektiven Anspielungen des Librettos (Messias etc.) keinen Störfaktor bilden. Was man aus Oscar Wildes Dramenvorlage bereits herauslesen kann, wird in Ted Huffmans Inszenierung verstärkt und (wenn man so will) sicher auch leicht vereinseitigt.

Der Hof von Herodes ist eine Männerburg, in welcher Frauen als lediglich geknechtete, sexuell ausgebeutete Menschenwesen existieren. An der linken Seitenwand sitzen gefesselte Mädchen, werden von den Männern nach Laune schikaniert und bei jeder Lustaufwallung hinter die Szene gezerrt. In diesem Milieu wächst Salome auf und hat von ihrer Mutter gelernt, sich in diesem Ambiente zu behaupten. Während sich Herodias aber lediglich anpasserisch gibt, treibt es Salome in den aktiven Widerstand. Sie ist bei Huffman also nicht das oft erlebte früherotische Kindwesen, welches in pubertärer Not explodiert, sondern eine gereifte Frau, welche emanzipatorischen Impulsen folgt.

Herodes mit seiner Geilheit ist für sie ein generelles Feindbild, Jochanaan rührt in ihr hingegen andere, verschüttet geglaubte Emotionsschichten an. Ein wirkliches Gegenüber findet sie bei dem religiös donnernden Propheten aber auch nicht, was Rachegefühle schürt. Der im Libretto beschworene Kuß findet nicht statt, vielmehr erstickt Salome den Propheten, nachdem sie ihm zuvor schon ein Messer in den Leib gerammt hat. Die anderen erniedrigten Frauen gehen mit Dolchen und Pistolen auf ihre Peiniger los. Am Ende der Kölner Salome-Aufführung spritzt viel Blut. Dieses brutale Finale wird vom „Tanz der sieben Schleier“ raffiniert vorbereitet.

Ted Huffmans Inszenierung ist eine fraglos spezielle Lesart der Strauss-Oper. Ihren Intentionen bleibt sie gleichwohl auf der Spur. Über Details mag man sich streiten (das signalisierten am Ende der Premiere einige Buhrufe). Aber dieser Regiearbeit eignet viel Faszination, so auch bei der Darstellung vom Leben am Hofe des Herodes. Einzelpersonen und Gruppenformationen werden abwechslungsreich ins Bild gesetzt, wobei völlig natürliche Bewegungsabläufe entstehen. Keine affektierten Gesten, keine „Arrangements“, keine personale Hervorhebung ohne Sinn.

Dass der Regisseur in Salome kein junges Mädchen sieht, die sich in erotischen Kinderträumen nach Jochanaan verzehrt (wie es 2004 Camilla Nylund herzergreifend tat), kommt der Gestaltung von Ingela Brimbergentgegen. Die schwedische Sopranistin spielt ihrem Realalter entsprechend eine gereifte Frau mit jedoch immer noch jugendlichem Selbstbewusstsein. Diese Mischung prägt auch ihre vokale Leistung: man erlebt lyrischen Gesang mit einem leicht heroinenhaften Einschlag, welcher sich beim kraftvoll bewältigten Schlussmonolog besonders günstig auswirkt. John Heuzenroeder, der sich vom Pedrillo in der Entführung zu einem Charaktertenor entwickelt hat, bietet ein stimmiges Herodes-Porträt, auch wenn man sich einige Phrasen mit größerer tenoraler Verve gesungen vorstellen mag. Dalia Schaechter war bereits 2004 Herodias. Diese Figur wird von der Regie am wenigsten modifiziert, und so wiederholt sich das eindrucksvolle Porträt von damals letztlich ohne besondere Variationen. Der Litauer Kostas Smoriginas gibt den Jochanaan (Rollendebüt) baritonal ausladend (nota bene: ein Landsmann gleichen Namens arbeitet als Theater- und Filmschauspieler), Dino Lüthy den Narraboth mit schönem tenoralem Schwung.

Der Page von Judith Thielsen bleibt in der Inszenierung etwas anonym, ist aber sängerisch untadelig. Von den weiteren Mitwirkenden seien pars pro toto noch genannt: Matthias Hoffmann als 1. Soldat mit kraftvollem Bass und Martin Koch, ein vokal dominanter 1. Jude.