Krieg und Liebe in Vietnam
Miss Saigon ist wieder da. Und mit ihr ein Rückblick in eine Zeit, in der der Krieg in Vietnam die Schlagzeilen beherrschte. 1989 begann die „Miss“ ihre Weltkarriere in London. Nun ist eine Neuinszenierung (Konzept, Buch und Musik: Claude-Michel Schönberg; Texte: Alain Bublil) erstmals in Deutschland zu sehen, fünf Wochen lang und exklusiv im Kölner „Musical Dome“.
Es war nie und ist keines der gängigen, sich inhaltlich wie musikalisch kaum voneinander unterscheidenden Musicals. Denn bei aller bitteren Süße, wenn auch hier nicht selten am Rande zum Kitsch, geht das Stück nicht dem zeitlichen Hintergrund aus dem Weg, vor dem sich die tragische Liebesgeschichte zwischen dem amerikanischen GI Chris (Ashley Gilmour) und der Vietnamesin Kim (Sooha Kim) abspielt. Im Gegenteil: Stacheldrahtzäune, das harte Los der Vietnamesen, die den Kommunisten in die Hände zu fallen drohten, als die Amis fluchtartig das Land verließen - das Musical verliert in solchen Szenen alle Gefühlsduseleien und geht szenisch hart zur Sache.
Aber natürlich ist es die Liebe, die das Stück prägt - und gleichwohl auch der Historie zu ihrer Wirkung verhilft. In einer mehr als halbseidenen Bar, in der halbnackte Hintern den Ami-Gästen in Uniform deutlich den gewünschten Weg weisen, taucht die jungfräulich-verschüchterte 17-jährige Kim auf. Sie ist auf der Flucht, ihre Eltern wurden ermordet. Gelandet ist sie in den Fängen des Club-Chefs. Er, der Engineer (Christian Rey Marbella), wird noch oft die Szene bestimmen. In immer wieder zweifelhaft-eindeutigen Situationen. Ein Macho vor dem Herrn und eine grandiose Rampensau.
Verhindern kann er freilich nicht die Liebe: Chris, der Ami, zuvor auch nicht von schlechten Eltern, verguckt sich in die in unschuldiges Weiß gekleidete Kim, die in dieser Nacht diese Unschuld verliert. Die Folge kann sich neun Monate später sehen lassen: Sohn Tam. Doch da ist Chris längst über den großen Teich entschwunden, wo er ein neues Leben mit einer anderen Frau begonnen hat.
Doch, oh Wunder: Kim kann er einfach nicht vergessen. Und da es die Vietnamesin, mit dem Teufelskerl Engineer an der geldgeilen Spitze, ins Wunderland Amerika treibt, schafft es mit ihm auch Kim. Chris erfährt und erlebt nun zum ersten Mal, dass er einen Sohn hat. Glücklich darüber, dass Tam seinen Vater gefunden und auch dessen Frau Ellen (Elena Martin) ihn liebevoll in die Arme schließt, erschießt sie sich: Liebe bis in den Tod.
Die Wege bis zu diesem ebenso glücklichen wie traurig-tragischen Ende sind verschlungen, aber äußerst bild- und tonkräftig in Szene gesetzt. Gleich zu Beginn, wenn die Hintern der Damen nur so wackeln, vibriert die Bühne. Und wenn der Hausherr die Regie übernimmt, wird die Bar zum Sündenpfuhl.
Doch inmitten all der Action-Szenen kommt das Stück immer wieder mal zur Ruhe - und zu Szenen, die der Liebe zu ihrem Recht verhelfen, Krieg und seine Auswüchse vergessen lassen. Wenn dann am Ende Kim tot auf der Stätte liegt und Chris‘ Frau Ellen den Jungen liebevoll zu sich hochhebt, ist eine der schönsten und emotionalsten Momente erreicht. Außerdem, erstaunlich genug: Danach folgt keine musikalisch das Ganze mit süßsaurer Sauce überkleisternden Schluss-Apotheose. Es bleibt leise, fast stumm. Dass Miss Saigon in Englisch daherkommt, also keine deutsche Fassung bietet, ist sicher im Sinne der Glaubwürdigkeit.
Dass die Darsteller nicht nur exzellent singen, sondern auch schauspielerisch sehr zu überzeugen vermögen, macht das Ganze zu einer besonderen Erfahrung - im Musicalbereich.
Natürlich, wie immer, aber nicht zu unrecht: Stehende Ovationen nach zweieinhalb Stunden im blauen Zelt des Musical Dome in Köln am Rhein.