Eine Aufführung, die ins Herz trifft
Nach dem Verlöschen der Musik eine gebührliche Pause, dann jedoch euphorischer Beifall, wie in diesem Hause schon lange nicht mehr erlebt. Nun geht einem das Finale der Carmélites (freilich nicht nur dieses) unweigerlich unter die Haut und rührt den einen oder anderen sicherlich auch zu Tränen. Aber in den Schlußbildern zeigt sich halt eine besondere Stärke der Inszenierung Beverly Blankenships (in Zusammenarbeit mit ihrer Schwester Rebecca): praktisch jede Choristin steigert sich zu einer Hauptrolle von unterschiedlichem Charakter (musikalische Einstudierung: Michael Preiser). Von der Szene an, als die neue Priorin, Madame Lidoine, ihren Mitschwestern den Tod durch die Guillotine verkünden muß, brechen sich die unterschiedlichsten Gefühle Bahn, von tiefer Angst und Betroffenheit bis hin zu ekstatischer Verzückung. Zuvor formt die Regisseurin das Frauenkollektiv häufig zu Mauern, welche der Bühnenbildner Christian Floeren seiner Ausstattung wohl nicht grundlos vorenthält. Auf der weitgehend leeren Szene gibt es eigentlich nur eine Sitzbank, welche zuletzt zu einer Guillotine hochgefahren wird.
Beverly Blankenship hat vor Ort mit Puccinis Suor Angelica schon einmal eine Nonnen-Oper inszeniert. Ihre jetzige Arbeit lebt von einer sich unglaublich steigernden choreografischen Intensität. Das beginnt mit dem beklemmenden Auftritt der alten, sich dem Tod nahe fühlenden Priorin Madame de Croissy, welche sich, von ihren Schwestern nur mühsam gestützt, auf die Bühne schleppt. Was Kerstin Brix hier neben vokaler Autorität darstellerisch einbringt, erzeugt regelrecht Gänsehaut. Bis in die kleineren Partien hinein setzt Beverly Blankenship starke Akzente, so bei Valerie Eickhoff (Soeur Mathilde). Woongyi Lee (1. Kommissar), Alexander Kalina (Diener Thierry, 2. Kommissar), sie alle aus dem Opernstudio. Panagiota Sofroniadoudürfte ihm nicht mehr lange angehören. Ihr frisches, sopranhelles Porträt von Soeur Constance gerät dermaßen eindrücklich, dass ihr nunmehr ein Platz im offiziellen Ensemble gehören sollte, in Krefeld oder anderswo. James Park (Beichtvater) ist diesen Weg bereits gegangen, hat sich dann aber bescheiden in den Chor des Hauses verfügt, bleibt als markanter Sängerdarsteller aber jederzeit abrufbar.
In der Vita des Komponisten der Oper, Francis Poulenc, gibt es aus früher Zeit „wilde Jahre“. Nach seiner Hinwendung zum Katholizismus (ausgelöst durch den Tod eines Freundes) wurde er ein ernster, abgeklärter Mensch, was sich auch in seiner vielfach sakralen Musik spiegelt. Die der Carmélites greift in psalmodierender Weise auf die 1957 (Scala-Uraufführung) eigentlich schon „abgeschaffte“ Tonalität zurück und erzielt mit ihr sublime Wirkungen. Die Art, wie sich Dirigent Mihkel Kütsonsogleich vehement in die Anfangstakte stürzt, den Publikumsbeifall für seinen Auftritt ignorierend, zeigt, wie stark er sich von der Partitur seit den Proben offenkundig hat fesseln lassen. Auch während der gesamten Aufführung formt er die (übrigens auf der Hinterbühne plazierten) Niederrheinischen Sinfoniker zu machtvollem, loderndem Spiel heraus, welchem es an Pianosuggestion aber nicht fehlt.
So wie Gerti Rindler-Schantl zu Beginn die Soloakteure (Marquis de la Force: Mathieu Abelli, sein Sohn: David Esteban - beide rollendeckend besetzt) in historisierenden Kostümen präsentiert, gibt auch die Regie historische Fingerzeige. Bereits eine kleine Ausstallung im Foyer offeriert, analog zu den 16 (namentlich bekannten) Karmeliterinnen, Frauen der Geschichte, welche aus den unterschiedlichsten Gründen zu Märtyrerinnen wurden, Edith Stein etwa oder Sophie Scholl. Alle Namen sind auf Flugblättern verzeichnet, welche am Schluss des zweiten. Aktes von dem auf der hinteren Empore sitzenden Herrenchor ins Auditorium geworfen werden. Ihre Gesichter werden auch noch abwechselnd auf einer Videoleinwand im Hintergrund abgebildet und erscheinen nach der Pause als Standbilder auf der linken Bühnenseite.
Diese Akzentuierung ist eine überzeugende, eine andere etwas weniger. Um die Kluft zwischen elitärem Adel und geknechtetem Volk zu verdeutlichen, hat Beverly Blankenship eine „Putzkolonne“ ersonnen, die von Anfang an auf der Bühne vorhanden ist und den Boden schrubbt. Aus den Reihen solch unterdrückter Menschen erwuchsen dann ja die revolutionären Triebe, welche zu den Umwälzungen von 1789 führten. Dass es dabei blutige Ausschreitungen und Auswüchse gab, wird von der Inszenierung nicht unter den Tisch gekehrt. Auch die Zeit ihres Lebens angstbesetzte Blanche reiht sich zuletzt in diese Gruppe ein, ein letzter Versuch, ihrer inneren Unruhe Herr zu werden. Eine interpretatorische Hinzufügung der Regie, welche die düstere Atmosphäre des Geschehens fraglos verstärkt, aber doch eher beiläufig wirkt.
Sophie Witt ist eine bewegende Blanche, hingebungsvoll singend und schonungslos spielend. Als Mère Marie überzeugt Eva Maria Günschmann mit ihrem üppig blühenden, höhenstarken Mezzo, bei Janet Bartolova (Madame Lidoine) dominiert die Bühnenautorität. Susanne Seefing (Mère Jeanne), Dae Jin Kim (Arzt Javelinot) und Hayk Dèinyan (Offizier, Kerkermeister) ergänzen die Sängerriege. Alle Akteure bilden ein, dies sei nochmals nachdrücklich betont, ein Ensemble von immenser Ausdruckskraft. Das sollte sich herumsprechen und helfen, das Haus bei den kommenden Vorstellungen angemessen zu füllen.