Das Land des Lächelns im Dortmund, Oper

Getanzter Zweifel

Ach ja, die Operette. Schon oft wurde ihr das Sterbeglöckchen geläutet, doch sie hat aufs Eindrucksvollste bewiesen, dass Totgesagte eben länger leben. Und gerade in den letzten Jahren wusste sich die „kleine Oper“ mächtig zu behaupten. Dabei ist der Trend zum selten Gespielten mehr und mehr gewachsen: Abseits der ewigen Fledermaus, Lustigen Witwe oder Csárdásfürstin wird an vielen Bühnen auf Vernachlässigtes und Raritäten geschaut. Zu dieser Entwicklung gesellt sich das Bemühen, selbst die Hits der Gattung kritisch zu begleiten, sie im Kontext ihrer Entstehungszeit zu beleuchten statt sie allein mit rührseliger Nostalgiesauce zu übergießen. Viele haben es gewagt, und manches wurde dabei gewonnen.

In Dortmund etwa hatte der Regisseur Thomas Enzinger 2014 Paul Abrahams Fußball-Operette Roxy und das Wunderteam ausgegraben (theater:pur-Besprechung siehe hier). Mühsame Arbeit steckte dahinter: Die Originalpartitur galt als verschollen, das Stück wurde nach der Uraufführung in Budapest 1936 nie mehr in einem Theater gezeigt, denn die Nazis setzten Abrahams Werke auf den Index. Auch später wagte sich niemand an die Roxy-Herausforderung. In Dortmund erklang also eine veritable Deutsche Erstaufführung, faszinierte ein inspirierendes Gemisch aus Operettenseligkeit und flotter Jazzmusik. Und die Inszenierung verzichtete auf jede Hakenkreuzsymbolik.

Nun hat sich Enzinger erneut dem (vermeintlich) leichten Genre zugewandt, diesmal allerdings ist der Blick auf einen Repertoire-Renner gerichtet. Franz Lehárs Das Land des Lächelns steht auf dem Programm, es ist die erste Operette unter der neuen Intendanz von Heribert Germeshausen. Das Werk präsentiert sich in seiner ganzen Pracht, mit üppigem Dekor und all den weltbekannten Arien, die zum nostalgisch verklärten Mitsummen verführen. „Dein ist mein ganzes Herz“ steht dabei als emotional mächtigstes Symbol fürs Erinnern an längst vergangene Zeiten. Das wirkt: Die Premiere war ausverkauft und der Andrang ist weiterhin groß.

Solchen Erfolg musste sich Lehár dereinst erarbeiten. Die Uraufführung 1923 in Wien, noch mit dem Titel Die gelbe Jacke, war ein Reinfall. Erst sechs Jahre später in Berlin wurde die neue Fassung unter dem Namen Das Land des Lächelns zum rauschenden Erfolg. Und „Dein ist mein ganzes Herz“ ging als „Tauber-Lied“ in die Geschichte ein, denn es wurde eigens komponiert für den Ausnahmetenor Richard Tauber. Der hatte einst gesagt: „Ich singe nicht Operette, ich singe Lehár“. Das war der Verweis auf die Besonderheit des Genres. Der Komponist selbst sprach von seinem Werk als lyrische Operette, abseits subversiver Offenbachiaden oder des güldenen Wiener Walzerschmachtens eines Johann Strauß.

Lehár setzte auf Emotion statt szenische Aktion, auf Psychologie und musikalisch feinsinnige Ausdeutung. So ist Das Land des Lächelns letzthin eine Geschichte des Scheiterns und der geplatzten Träume, an deren Ende nur Verlierer zurückbleiben. Der chinesische Prinz Sou-Chong, gefangen in einer 3000jährigen Tradition, und die k.u.k.-Grafentochter Lisa, westlichen gesellschaftlichen Konventionen verhaftet, kommen zusammen und bleiben sich doch fremd. Und selbst das „Buffo-Paar“, Lisas Verehrer Gustl und Sou-Chongs Schwester Mi, haben keine Chance, ihre scheue Verliebtheit auszuleben.

Eine Operette ohne glückliches Finale: Lehár meinte dazu, dass die Verfassung des Publikums in Zeiten der Weltwirtschaftskrise (1929) es durchaus erlaube, „sich von der Lüge des Happy end“ abzuwenden. Und weiter: „Der Komponist darf von der Operette zur Oper aufsteigen“. Diese Einschätzung hatte erhebliche musikalische Konsequenzen. Tucholsky brachte das Ergebnis gewohnt bissig auf den Punkt: Lehár sei der Puccini des kleinen Mannes. Abseits dieser Spöttelei schält sich immerhin ein wahrer Kern heraus. Die Operette streift in ihrer lyrischen und dramatischen Intensität durchaus die Welt des Verismo, dabei ist die Partitur mit feinen Exotismen geschmückt sowie mit teils schillernder Klanglichkeit.

So bleibt im Publikum kaum ein Auge trocken. Zumal - in der Dortmunder Produktion - der Bühnenbildner Toto nicht geizt mit Habsburger und fernöstlicher Herrlichkeit. Vom aufdämmernden Zerfall zweier Kaiserreiche ist jedenfalls nichts zu sehen. Lehár begann die Arbeit an der Operette mit Ende des Ersten Weltkriegs und verortete sein Werk im Jahr 1912, doch historisch-kritische Bezüge sind in dieser Inszenierung kaum zu finden. Stattdessen ein rauschendes Fest zu Lisas Ehren, in einem Saal mit eindrucksvoll gestalteter „Showtreppe“ und wuchtigen Gemälden im Hintergrund. Daraus wird, in wundersamer Drehbühnenverwandlung, das rot glänzende Reich der Mitte, mit Lampions wie beim Chinesen, kitschverdächtigem Dekor und exotischen Kostümen. Die gelbe Jacke, die Sou-Chong als Zeichen seiner Herrscherwürde überzieht, ist ein staatstragender Mantel.

Fast wirken die Figuren ein wenig verloren. Und den gesprochenen Dialogen mangelt es an Spannung. Statt psychologischer Feinzeichnung liefert die Regie nur Affekte. Um das ganze aufzupäppeln, hat Enzinger ein tanzendes Double des liebenden, scheiternden Paares eingeführt, das tatsächlich dessen innere Konflikte weit intensiver ausdeutet. Ohne diesen starken Kunstgriff wäre die Inszenierung nahezu altbacken geblieben. So aber schwebt schon mit Einsatz der Ouvertüre der Zweifel über dem Geschehen. Das Orchester wiederum setzt von Beginn an auf das süffige Melos der Partitur. Die Dortmunder Philharmoniker, von Gabriel Feltz geleitet, kosten die Puccini-Anklänge weidlich aus, könnten indes den filigranen Passagen mehr Gewicht geben. Manch’ fehlende Durchhörbarkeit steht dem allerdings im Wege. Die Musik scheint dann seltsam abgedämpft, geradezu erstickt.

Die dramatischen Akzente sind dagegen weit besser gesetzt. Diese Spannung können die Sänger nur bedingt halten. Irina Simmes (Lisa) ist eher bei den leichtfüßigen Koloraturen zu Hause, gefällt aber auch mit vielen Sopranfarben. Und Martin Piskorski (Sou-Chong) setzt gehörigen tenoralen Schmelz auf, gestaltet seine Partie allerdings bisweilen ziemlich deftig. Natürlich wird „Dein ist mein ganzes Herz“ wiederholt, wie zu alten Tauber-Zeiten. Ach ja, die Operette. Mancher Seufzer, viel Beifall.