Auf dem Weg zu einem schönen Film
Einen Film will er drehen, der Herr Prosdocimo, seines Zeichens Regisseur. Und so zeigt er seinem Produzenten einen Prototypen, während Steffen Müller-Gabriel mit dem Philharmonischen Orchester Hagen die Ouvertüre zu Gioacchino Rossinis Il Turco in Italia intoniert. Und es ist schreiend komisch, wie Christian von Götz in diesem Stummfilm das wilde Liebestreiben in Rossinis Oper mit übertriebener Gestik und Mimik der Darsteller in wenigen Minuten auf den Punkt bringt. Das ist eine ganz feine Klinge, die von Götz da führt. Aber dem Herrn, der das Geld für den Film gibt, hat es anscheinend nicht gefallen.
Da muss Prosdocimo sich wohl etwas anderes einfallen lassen. Also schaut er sich mal in seiner direkten Nachbarschaft um. Da findet er Fiorilla, die ihres langweiligen Gatten längst überdrüssig ist und mit Don Narciso einen ansehnlichen Lover gesucht und gefunden hat. Aber dann taucht da noch der adelige Türke Selim auf, mit feschem orientalischem Touch. Der wäre doch auch nicht zu verachten, oder? Leider ist hinter dem auch die Zigeunerin Zaide her… Wenn das kein Film-Plot nach Maß ist - denkt sich Prosdocimo und ist glücklich.
Christian von Götz inszeniert Il Turco in Italia als das, was es ist: Ein munterer Beziehungsreigen, den zu durchschauen den Betrachter genauso überfordert wie die Beteiligten. Situationskomik steht im Mittelpunkt. Lukas Noll baut ihm dafür eine große Note auf die Bühne, einen elliptischen Bogen mit Ausgängen rechts und links, gut nutzbar als schiefe Ebene. Dort rutschen alle Akteure in wunderbarer Hilflosigkeit hinunter oder krabbeln an ihr hoch, taumeln hinein in den Liebesreigen. Das erfordert von allen Akteuren eine Sportlichkeit, die auch beim gemeinschaftlichen Sackhüpfen unter Beweis gestellt werden muss. Von Götz zeigt dort, wie plumpe Triebgesteuertheit sämtliche Vernunft ausschaltet.
Und immer wieder schieben Revuegirls pinkfarbene Holzkisten auf die Bühne, in denen die Figuren in großer Nähe darstellen müssen, wie gerade ihr Verhältnis zueinander ist. In diesen Szenen gelingt es von Götz perfekt, den Charakter von Rossinis Komödie zu erfassen. Großartig, wie Überraschung und Ungläubigkeit ob der gesponnenen Intrigen verbildlicht werden.
Wer Christian von Götz‘ Don Giovanni-Deutung zum Ende der Spielzeit 2017/2018 im Theater Münster gesehen und gehört hat, dürfte allerdings ein klares Déjà-vu-Erlebnis gehabt haben. Exakt dieselbe Bühnenkonstellation wurde nun in Hagen präsentiert: dasselbe Bühnenbild, dieselben Holzkisten, dieselben Stühle (in Münster grün lackiert, in Hagen gelb), derselbe vom Schnürboden herabgelassene Strick, an dem der eine oder andere Protagonist schwingt und hangelt, dieselben Bewegungen des Bühnenpersonals nach rechts und links durch die Ausgänge, dieselben Säcke zum Hüpfen. Im Prinzip hätten die Hagener Theatermacher bloß einen LKW nach Münster schicken und sich das Don Giovanni-Bühnenbild samt Requisiten einladen müssen, um es in Hagen wieder aufzubauen. Recycling einer Idee?
Wahre Meisterschaft bleibt aber Rossini vorbehalten, der in seinen Arien und Ensembles eben Entsetzen, Spott und List mit höchster Kunstfertigkeit zu charakterisieren wusste. Das Hagener Ensemble ist darstellerisch absolut sehenswert, geht im Regiekonzept auf, füllt es mit prallem Leben und sportlichem Ehrgeiz. Sängerisch bleibt es Rossini hier und da aber doch einiges schuldig, es fehlt der letzte Schliff, der brillante Glanz. Den konnten lediglich Marie-Pierre Roy als Fiorilla und vor allem Leonardo Ferrando als Don Narciso verbreiten - ein Tenor mit großem Potenzial! Steffen Müller-Gabriel und das Philharmonische Orchester Hagen bieten eine grundsolide Leistung, kamen manchmal jedoch ein wenig zu laut daher.
Ein wirklich komischer Abend im Theater Hagen, zum Abschalten und sich einfach mal von Situation zu Situation ins Lachen fallen lassen. Das muss auch mal sein. Das Premierenpublikum honorierte dies mit ganz viel Applaus.