Medea im Essen, Aalto-Theater

Politische Ordnung und Gefühlschaos

Am Ende begegnen sie sich noch einmal, aber einen gemeinsamen Weg wird es für Medea und Jason nicht mehr geben. Hat sie die gemeinsamen Kinder ermordet, nachdem er ihre Liebe verraten hat? Um für sich eine glorreiche Zukunft zu bauen als Erbe des Königs Kreon und Ehemann der Königstochter Kreusa? Gründlich gescheitert ist das, was einst als amour fou begann: Medeas Leidenschaft und Jasons Opportunismus bilden unüberbrückbare Gegensätze. Obwohl durchaus noch Anziehung besteht, ist ihnen der Weg zueinander versperrt.

Das verdeutlicht Aribert Reimann in seiner Oper Medea auch musikalisch. Beherrschen über weite Strecken pure Spannung und eine emotionsgeladene Atmosphäre die Szene, so sind am Schluss alle Kämpfe gekämpft. Resignation, Ergebung ins wohl Unabwendbare legt sich über die Akteure.

Vorher jedoch ist die Bühne erfüllt von allem, was das Ende einer Liebe zur Qual machen kann: Ohnmächtig muss Medea zusehen, wie der Mann, für den sie alles getan hat - vielleicht sogar gemordet - sich von ihr entfernt und eine Zukunft für sich in einer Welt aufbauen will, die ihr fremd ist. Heiraten will er Kreons Tochter und Medea ihre eigenen Kinder nehmen. So ungeheuer dieser Plan, so ungeheuer muss ihre Rache sein.

Regisseur Kay Link und sein Ausstatter Frank Albert finden für die Medea, die Reimann nach Franz Grillparzers Drama erzählt, Bilder, die in ihrer Klarheit der Essenz der antiken Sage nachspüren und diese unmittelbar direkt erzählen. Link und Albert wählen keine Umwege, legen ihren Fokus auf die handelnden Personen.

Kühl und sachlich, sehr zweckmäßig Kreons Palast: Ein Betonbau mit Glas und Stahl. Der macht gleich klar, dass ungezügelte Emotionen hier keinen Platz haben. Die gehören eingesperrt in die Raubtiergrube, die der König sich angelegt hat. Menschen wie Medea können hier nicht heimisch werden, jedwede Form von Assimilation ist unmöglich. Wohl aber für Jason, der auf bekanntes Terrain zurückkehrt. Kay Link stellt die Titelfigur Medea ins Zentrum seiner Inszenierung, lässt ihr Handeln, auch den doppelten Kindsmord als logische Konsequenz ihrer zunehmenden Verzweiflung verständlich werden.

Und Claudia Barainsky füllt diese Medea großartig aus. Schon bei der Deutschen Erstaufführung 2010 in Frankfurt hat sie diese Partie gesungen. Barainsky fühlt dem emotional überbordenden Charakter Medeas bis ins Feinste nach und scheint über den von Reimann komponierten Höchstschwierigkeiten zu stehen. An ihrer Seite ist ein Ensemble zu sehen und zu hören, das Reimanns Werk auf hohem Niveau umsetzt und ihm alle gebotene Sorgfalt angedeihen lässt.

Marie-Helen Joël als Amme Gora kennt Medea genau und sagt düster prophetisch voraus, was diese tun wird. Rainer Maria Röhr singt mit befehlsgewohntem Tenor den König Kreon - ein rational geprägter Machtmensch. Liliana de Sousa ist seine Tochter Kreusa. So sicher ist sie davon überzeugt, eine gemeinsame Zukunft mit Jason zu haben, dass sie alle Warnzeichen ignoriert. De Sousas wunderbar beweglicher Mezzo mischt sich ganz ausgezeichnet mit Barainskys Sopran im musikalisch ungemein berührenden Duett im ersten Bild: zwei Frauen treffen aufeinander, die um der Liebe willen alles richtig machen möchten.

Aufhorchen lässt Countertenor Hagen Matzeit als Herold, der stimmlich so intensiv Mordanklage gegen Medea und Jason erhebt, dass man sie nicht beiseite wischen kann. Sebastian Noacks schöner Bariton verströmt als Jason weitestgehend selbstgefälliges Phlegma.

Robert Jindra und die Essener Philharmoniker werden Aribert Reimanns nicht gerade einfach gestrickter Partitur absolut gerecht, spüren den vom Komponisten erdachten vielschichtigen Stimmungsbildern nach und bieten dem Ensemble einen sorgsam gesponnenen Klangteppich, auf dem es seine Sangeskunst trefflich ausbreiten kann.

Dem Publikum verlangt Reimanns Medea einiges ab. Es muss sich einlassen auf die Musik und schon genau hinhören. Dann aber erschließt sich eine Welt hochemotionaler Klänge. In Essen unterstützt Regisseur Kay Link dieses Sich-Einlassen durch eine sehr klare, unmissverständliche Deutung. Das Premierenpublikum ist sehr angetan.