Opernjux oder Lockmittel?
Die Oper als komplexe Kunstform ist schon in der Lage, zu polarisieren; die einen finden die Singerei schrecklich, die Stücke zu lang - da wird gerne der arme Wagner zitiert - und an der Realität vorbei: wie kann man im Todeskampf denn noch so schön singen? Die anderen erfreuen sich an dieser hoch komplexen Kunst, die es in dieser Form sonst nirgends gibt. Kein Wunder, dass die Oper immer wieder persifliert wurde, manchmal als liebe- und hochachtungsvolle Parodie, oft aber auch bitterböse Verspottung. Das in Köln hoch angesagte Theater im Bauturm war bereits im Januar 2017 zum realen Opernhaus mutiert mit Henry Purcells Dido und Aeneas, mit echten Sängern und einem echten, wenn auch kleinen Orchester. Nun sollte das Repertoire des kleinen Hauses um ein klassisches Werk erweitert werden, mit Verdis La Traviata, ein dramatisches Stück um eine schwindsüchtige Edelkurtisane, die sich verliebt und dann doch stirbt. Ein „Schmachtfetzen“ zwar, aber mit unglaublicher Musik, mit wunderschönen Arien und Ensembles, die regelmäßig auf die Tränendrüsen drücken.
Der Kölner Regisseur Sebastian Kreyer, der mit der anrührenden Geschichte um die genuine Kölnerin Trude Herr sehr erfolgreich war, hatte für seinen männlichen Trude-Darsteller Matthias Buss die Idee zu einer weiteren Rolle. Nur - das konnte ja kaum mehr sein als eine Parodie unter den gegebenen Bedingungen. Und dann - für wen denn nur?
Es begann schon sehr opern-ähnlich mit von unten beleuchtetem roten Vorhang und Souffleurkasten, aus dem später etliche Dialoge mit den Protagonisten geführt wurden. Traviata in bühnenhafter roter Robe entsteigt zum zarten Opern-Vorspiel und Theaterqualm einem Sarg (in den sie am Ende wieder verschwindet) und diskutiert mit dem Regisseur, wo denn nur ihr Alfred bleibt, gespielt und gesungen vom Regisseur selbst. Und jammert über ihr Los als Opernsängerin und über das Elend ihrer Rollen, sich als Butterfly allabendlich den Dolch zu geben. Und als Aida es leid zu ein, immer wieder eingemauert zu werden und beim Sterben schön singen zu müssen. Und dass eine Opernsängerin gnadenlos fallen gelassen würde, wenn sie den Anforderungen nicht mehr entspräche. Auch in Sachen Fitness; Traviata macht sich per Bodenturnen fit und fällt beim Liegestütz prompt vom Podium. Aber da gab es neben dem Jux auch recht ernste Momente über die Anforderungen an die Künstler. Videos von berühmten Sängerinnen werden eingespielt, Lisa della Casa rät gar vom Singen ab: „Zu viel Arbeit“. Und zu wenig Geld, daher müsse unbedingt parallel ein Brot-und-Butter-Beruf erlernt werden. Auch Biolek, Brigitte Faßbaender, August Everding von der Staatsoper München und Alfred Hitchcock mit Filmsequenzen aus seinen Vögeln und Psycho geben sich die Ehre. Man hatte schon viel Stoff zum Sinnieren. Und zum Nachdenken, was denn der Zusatz an „Doro“ bedeutet. War das eine vorübergehende Schwäche des großen Sängers, oder das Ende seiner Karriere? Und auch Zeit zum Zuhören, denn Valerij Lisac hat eine geschickte Zusammenstellung von Liveaufnahmen, von Begleitmusik für Sänger und von Video kreiert.
Die beiden Herren singen zur eingespielten Musik etliche Arien selbst, zum Teil achtbar im Duett, bzw. sie versuchen es. Das klingt natürlich haarig, ist oft erheblich daneben und nicht zusammen; unklar bleibt, ob sie es besser könnten, noch Übungsbedarf haben oder bewusst den Gesang persiflieren. Ungeachtet dessen kommt sicher auch für den Opernneuling ein Ahnen auf über die Genialität Verdis und seiner Traviata. An dieser Stelle fragt man sich natürlich, für wen Kreyer sein Opus konzipiert hat: Für die bekennenden Fans, die einfach Spaß haben an diesem Opernjux, oder als Lockmittel für bisherige Nicht-Operngänger, oder gar zur Abschreckung vor dieser Kunstform? Bei der Premierenfeier wurde Unverständnis geäußert von denen, die sich outeten, nie in die Oper zu gehen. Man muss seine Traviata schon einigermaßen kennen, um Spaß an dieser Parodie zu haben.
Ulkig auch der 2. Akt auf dem Lande, Traviata beim Melken und Hühner füttern, Kreyer erscheint mit langem Bart als Alfredos Papa Germont, der ihren Verzicht auf seinen Sohn einfordert. Und jetzt wird es ernst, nicht nur durch das blutige Taschentuch, in welches sie hustet. Buss, der zuvor durch seine tapsige Art etliche Lacher erzeugte, spielt auf einmal die todkranke verzweifelte Frau. Und man glaubt der traurigen Figur, trotz der irrwitzigen Szenerie. Im Publikum, welches zuvor wie im echten Leben die Arien und Spitzentöne fröhlich beklatscht hatte, wird es ruhig. Man hat Mitleid mit ihm bzw. ihr, vergisst völlig den Rollentausch, wie Buss auch als „Trude Herr“ ganz großartig die Tragik dieser Ulknudel verkörperte.
Für die Opern-Unkundigen dann noch einmal eine Prosa-Lektion über diese Oper und den Gesang, Buss liegt auf dem Sterbebett, ein großes Kissen vor Bauch, dazu die unverkennbare Stimme der großen Maria Callas. Und wenn dann zum Ende der Tod als leibhaftiger Sensenmann erscheint, kann man schon das Gefühl haben, eine große Aufführung erlebt zu haben.