Verführung am Fuße des Vulkans
Der Vesuv bricht aus. Eben erst hat Dorabella ihrem Herzen einen Stoß gegeben, hat einem vermeintlich fremden Mann einen hastigen Kuss auf die Lippen gedrückt, da erglüht auch schon der Vulkan, der die Ruinen von Pompeji überragt. Hier, zwischen den antiken Tempelresten der Ausgrabungsstätte, wird die perfide Schlacht um die Ehre der Frauenherzen entschieden, die in Wolfgang Amadeus Mozarts Oper Così fan tutte geschlagen wird.
Tatsächlich reiste Mozart im Alter von 14 Jahren mit seinem Vater nach Neapel und Pompeji. Aber im Essener Aalto-Theater hat der englische Regisseur Stephen Lawless gewichtigere Gründe, das „lustige Drama“ („Dramma giocoso“) in Italien und im 18. Jahrhundert zu belassen. Komponiert im Jahr des Ausbruchs der französischen Revolution, zeigt Mozarts berühmter Zweiakter die tiefe Verunsicherung der Menschen durch den Umsturz der gesellschaftlichen Ordnung. Wo eine alte Welt in Asche aufgeht und eine neue entsteht, tun sich Abgründe auf.
Die zur Zeit der Uraufführung starke Begeisterung für die Antike und den Hellenismus spiegelt sich im Bühnenbild und in den Kostümen von Frank Philipp Schlößmann, die historisierende Pracht verbreiten, ohne dabei plüschig oder gestrig zu wirken. Das liegt auch an dem hellen, einem Künstleratelier ähnlichen Raum, den Schlößmann auf die Aalto-Bühne schiebt, um ein ständiges Wechselspiel zwischen Innen- und Außenwelt zu ermöglichen. Immer wieder glotzen die Regimentskameraden von Guglielmo und Ferrando zu den Türen herein, um nachzuschauen, wie es aktuell um den Stand der fiesen Wette steht. So wird das Privatleben der Paare zum öffentlichen Schauspiel.
Spötter mögen das Essener Regiedebüt von Stephen Lawless abonnentenfreundlich nennen. In der Tat tut diese Neuproduktion niemandem weh. Sie deshalb für harmlos zu halten, wäre gleichwohl eine Fehleinschätzung. Mozarts herrlichen ausgewogenen Ensembles in der Così entsprechend, führt er die Sänger mit konsequenter, nachgerade formstrenger Symmetrie.
Wer das im ersten Teil vorhersehbar findet, dürfte bald gehörig durcheinander geraten. Denn bei Lawless sind es nicht allein die Männer, die sich verkleiden: Die Schwestern Fiordiligi und Dorabella, einander ähnlich wie Zwillinge, tauschen zu Beginn des zweiten Aktes die Kleider. Mit diesem Kunstgriff bringt Lawless den Identitätsverlust der Figuren schmerzlich auf den Punkt. Welche Rolle spielt es fortan, wer wen liebt? Lässt sich überhaupt noch sagen, welche Paarung „richtig“ ist?
Das stimmlich auffallend ausgewogene Gesangsensemble hilft nach Kräften, das Verwirrspiel perfekt zu machen. Obschon die Partie der Fiordiligi (Tamara Banjesevic) deutlich höher liegt als die der Dorabella (Karin Strobos), besitzen beide Soprane ein sehr ähnliches Kolorit. Wendig, kapriziös und oft mit einem Hauch von Kühle ringen sie mit ihren Gefühlen, um sich in Kicherlaune schließlich doch in das frivole Abenteuer einzulassen, das die Kammerzofe Despina ihnen nahelegt. Ferrando (Dmitry Ivanchey) und Guglielmo (Martijn Cornet) gleichen einander in ihrem Männerstolz und ihren eifersüchtigen Affekten ebenfalls wie Abziehbilder.
Unter ihrem Chef Tomás Netopil spielen die Essener Philharmoniker einen schlanken, munter sprudelnden, hörbar historisch informierten Mozart. Das straffe und transparente Klangbild, die beweglich und sprechend begleiteten Rezitative bereiten Freude. Die Abstimmung zwischen Bühne und Orchestergraben bedarf im ersten Teil aber noch der Nachbesserung. Bei der Premiere wackelt rhythmisch noch allerhand.
Wie ein drittes Paar treten Despina (Liliana de Sousa) und Don Alfonso (Baurzhan Anderzhanov) auf. Auch dies wird musikalisch beglaubigt, denn Liliana de Sousa mischt der keck-frohen Tonlage der Zofe Untertöne einer Bitterkeit bei, wie sie aus großen Enttäuschungen erwächst. Vergleichbares muss auch Don Alfonso erlebt haben, dem Baurzhan Anderzhanov die menschenfeindliche Schwärze des Zynikers gibt, aber auch die schmeichlerischen Töne eines verführerischen Abbé. Der große Strippenzieher ruft am Ende dazu auf, „alles wieder gerade zu biegen“. Aber der Haussegen hängt nachhaltig schief. Das wird in Essen mehr als augenfällig.