Bunte böhmische Märchenwelt
Am Ende ist dann wieder alles gut. Schwanda, der Dudelsackpfeifer ist wieder daheim bei seiner guten treuen Frau Dorota. Und der Räuber Babinsky, der das vertraute, wenngleich erst kürzlich besiegelte Miteinander der Eheleute ein wenig durcheinander brachte, ist auch verschwunden. Immerhin hat Babinsky dafür gesorgt, dass die harmonische Zweisamkeit so ganz schlicht und sonnig nicht wieder sein wird, hat er dem Titelhelden doch gezeigt: über die bäuerliche Idylle hinaus gibt es noch andere, aufregendere Lebenswelten! Und Dorota hat Babinsky, der ein böhmischer Robin Hood ist, zu verstehen gegeben, dass sie auch als verheiratete Frau noch sehr begehrenswert ist.
Doch bis es so weit, also bis zum Happy End kommt, vergeht einige Zeit. Zunächst verschafft Schwanda der Eiskönigin ihr richtiges Herz zurück - was ihn allerdings buchstäblich zur Hölle fahren lässt. Babinsky, immer wieder Retter aus der Not, befreit den Dudelsackspieler durch ein riskantes Kartenspiel mit dem Teufel. Das klingt alles ganz nach wunderschönem Märchen - und das ist es auch. Jaromir Weinberger wählt für Schwanda, der Dudelsackpfeifer Figuren und Szenen aus der böhmischen Märchenwelt. Auch seine Musik steckt voll überbordender folkloristischer Farben, die sich immer wieder in schwungvollen Tänzen manifestieren.
Michiel Dijkema findet ganz wunderbare Bilder für die vier Szenen, die zu erleben sind. Er setzt auf die Wirkung farblicher Kontraste. Tiefschwarz bleibt der Bühnenhintergrund. Umso deutlicher zeichnen sich auf ihm die bunten Blumen des heimischen Gartens von Schwandas und Dorotas Heim ab; eindrucksvoll und üppig fällt der weiße Schnee im Reich der Eiskönigin mit dem furchteinflößenden Hauklotz, auf dem unliebsame Delinquenten exekutiert werden.
Der Clou dieser Produktion ist aber die Ausgestaltung der Hölle durch Dijkema, der neben der Regie auch verantwortlich für das Bühnenbild zeichnet. Als sich der Vorhang zum dritten Bild - eben jener Hölle - öffnet, ist eine große, meterhohe rote Pyramide zu sehen und es bedarf eines Augenblicks genauen Hinsehens, bis man feststellt, dass die Konstruktion von lauter roten Teufeln höchst unterschiedlicher Gewandung bevölkert ist. Spontan brandet Applaus des Publikums auf. In der Mitte der Teufelsschar hockt der Höllenfürst höchstpersönlich auf seinem Thron. Dem ist schrecklich langweilig, weil keiner mit ihm Karten spielen will. Joachim G. Maaß gibt Satan als eine herrliche Mischung aus betrügerisch-abgebrühtem Zocker und gelangweilt-verzogenem Blag. Dem will der im Höllenreich gelandete Schwanda partout nichts auf dem Dudelsack vorspielen. Doch dank Babinskys gewagtem Spiel gegen den Teufel gewinnt er die Hölle, gibt sie dem Teufel aber gleich wieder zurück, denn schließlich wäre der sonst arm! So sind Märchen eben, die Regisseur Dijkema dem Publikum durch seine ausgefeilten, schönen Bilder erschließt. Dafür dankt es ihm das Publikum mit viel Applaus.
Auch die Sänger zeigen sich größtenteils sehr gut aufgelegt. Die kleineren Rollen waren bei Tobias Glagau, John Lim und Jiyuan Qui in den allerbesten Händen. Lediglich Michael Heine als Magier kommt stimmlich sehr fahl herüber. Auch Petra Schmidt als Eiskönigin ist nicht wirklich gut zu verstehen. Das richtige Händchen für slawisch geprägte Musik haben Alexander Eberle und sein Opern- und Extrachor, dem darüber hinaus Tanz und Lebensfreude im Blut zu liegen scheint und beides geradezu jubilierend zum Ausdruck bringt.
Ilia Papandreou ist eine in ihrer Treue nicht zu erschütternde Dorota - tonschön und höhensicher. Papandreou zeichnet mit „reiner“ Stimme ein makelloses Mädchen vom Land. Piotr Prochera liefert in der Titelpartie mal wieder eine Glanzleistung ab. Sein beweglicher Bariton übernimmt einen Großteil der balsamischen Wirkung des Dudelsacks (der in der Oper ausschließlich aus dem Orchestergraben tönt) und versprüht dabei einen Charme, der selbst die Eiskönigin samt Hofstaat dahinschmelzen lässt. Das heftigste Pensum an diesem Abend aber hat zweifellos Uwe Stickert zu bewältigen. Obwohl von Jula Reindell wie eine Art Rübezahl mit superlangem Zottelhaar (geografisch durchaus passend: das Riesengebirge ist sehr nah) ausstaffiert, ist sein Räuber Babinsky alles andere als grobschlächtig. Stickert entlockt seinem biegsamen Tenor, dem Weinberger Unglaubliches abverlangt, balsamische Weisen, wenn es um seine Liebe zu Dorota geht. Listig, ja verschlagen wird seine Stimme, wenn er den Teufel übertölpeln möchte. Der Facettenreichtum, mit dem Stickert am Premierenabend zu überzeugen vermag, war einfach überwältigend.
Auch Giuliano Betta und die Neue Philharmonie Westfalen bringen Weinbergers großes Märchen Schwanda, der Dudelsackpfeifer, das musikalisch teilweise durchaus Ohrwurm-Qualität hat, in seiner ganzen schwelgerischen Bandbreite zum Tragen.
Wenn es einen Wermutstropfen gibt an diesem Abend, so ist das tatsächlich Weinbergers Partitur. Sie ist über weite Strecken doch wirklich sehr breit angelegt. Bereits die Ouvertüre (immerhin weit mehr als zehn Minuten!) hat ihre Längen. Und diese sind im Verlauf des Werks doch immer wieder zu beobachten. Außerdem wäre zu fragen, ob der doch recht simple Märchenstoff über einen Abend wirklich genug Stoff bietet, um ein Publikum zu fesseln. Regisseur Dijkema gelingt es, diese inhaltliche Simplizität mit eindrucksvollen Bildern zu überspielen und sein Publikum immer wieder zum Staunen zu bringen.