Cupidos tollster Tag
Landauf landab gibt es keinen Figaro, der den Bielefelder an Witz, Schärfe, Menschenkenntnis und Intensität übertrifft. Denn, dass die Liebe ein ebenso heiter-deftiges wie riskantes und auf Abwege verlockendes Spiel ist, in dem allein die Komödie Wirrnisse und Leidenschaften halbwegs zu sortieren und die Beteiligten vor dem Verzweifeln zu bewahren vermag, begreift Regisseur Alexander Charim ganz auf der lebensklugen Linie von Beaumarchais, Da Ponte und Mozart. Zuvor aber gehen wechselnden Schlüsselreizen unterworfene Frauen und Männer einander beinahe wahllos an die Wäsche. Doch statt sich ohne weiteres auf einen schwerelos munter-fröhlichen, partnertauschenden Reigen einzulassen, kocht Eifersucht hoch, deren die Figuren offenbar als zusätzliches Stimulanz bedürfen. So steht denn beim Umarmen und Küssen nicht anders als beim Beleidigen und Schubsen das Übergriffige auf dem Programm. Charim verlangt dem Ensemble vehementen Körpereinsatz ab, der die Energie und Gewalt, mit denen Eros sein Werk vollstreckt, sensibel und hochmusikalisch bis in des Zuschauerraums letzten Winkel dringen lässt. Wenn Figaro und der Graf Cherubino zum Militär verabschieden, dann nur in weitere Liebesscharmützel. Weshalb aber die Titelfigur selbst als einzige wenn zwar nicht gegen die Eifersucht, so doch vor der grassierenden Flatterhaftigkeit gefeit ist, liegt offenbar an des Kammerdieners Durchblick, was die gesellschaftlichen Verhältnisse anlangt. Feudal dominierte Rokokolibertinage erweist die Freizügigkeiten letztlich als Machtspiel und aufgeklärten Einsichten abhold. Gegen Ende versteht Figaro die gräflichen Affekte für sich in Dienst zu nehmen. Nun tanzt der Edelmann nach des Domestiken Pfeife und putzt ihm die Schuhe. Gelungen ist die Privatrevolution.
Für das turbulente Treiben baut Ivan Bazak ein villenartiges Etablissement auf die Drehbühne. Die den jeweiligen Spielszenen zuträglichen Räume von der Boudoir- bis zur Saalgröße sahen schon bessere Zeiten, schälen sich doch die kostbaren Tapeten bereits von den Wänden.
Wenngleich Aurel Lenfert die Figaro-Personage in heutige Mode steckt, behält er die gesellschaftlichen Ebenen bei. Das Grafenpaar steckt in Haute Couture, Figaro im schwarzen Allerweltsanzug, Susanna in uniformen Hausangestelltenkleidern, das Volk zeigt sich in farblich schrillem und zugleich reich nuanciertem Festtagsstaat.
Gewinnend wie die szenischen glänzen die musikalischen Facetten des Bielefelder Figaro.
Der von Hagen Enke einstudierte Chor ist spielfreudig und vokal ebenso frisch wie präzise bei der Sache.
Wozu Alexander Kalajdzic die historisch wohlinformiert aufspielenden Bielefelder Philharmoniker befeuert, trägt zum mitreißenden Schwung der Produktion entscheidend bei. Temporeich, rhythmisch prägnant und dynamisch oft überraschend agiert der Klangkörper im wahrsten Wortsinn als Mitspieler des Bühnengeschehens.
Yoshiaki Kimura in der Titelpartie erhebt sich im Lauf des Abends nicht allein ins durchschlagskräftig vokale Großformat, zudem bewegt er sich auf fortschreitend stilsicher gezogener Gesangslinie. Die Susanna von Cornelie Isenbürger nimmt sich anfangs soubrettenhaft schmalstimmig aus, um je näher das Finale rückt, zu runder und voller Tongebung zu finden. Frank Dolphin Wong gibt einen grazil-schlankstimmigen Grafen. Dusica Bijelic ist eine nobel timbrierte empfindungsstarke Gräfin. Der Cherubino von Hasti Molavian flattert auch vokal immer erregt von Blüte zu Blüte. Nohad Becker ist eine Luxusbesetzung für Marcellina. Die weiteren Solisten runden die Ensembleleistung ab.