Übrigens …

Salome im Mönchengladbach, Theater

Verfall einer Familie

Ob vor einigen Wochen in der Mailänder Scala Die ägyptische Helena oder Salome am Niederrhein, das Art déco ist in Mode. Während aber das Werk über die an den Nil entrückte schönste der Frauen mit dem Uraufführungsjahr 1928 in die Zeit gehört, datiert die 1905 erstmals gespielte Salome mitten in den Jugendstil. Doch gelingt der Transfer. Jahrhundertwende und das Jahrzehnt nach dem ersten Weltkrieg kommen in bestimmten Exaltationen überein, so in der Neigung zu Hypernervosität, Manierismen und Skandal.

Bühnenbildner Markus Meyer siedelt die Handlung auf zwei Ebenen an. Oben prangt des Tetrarchen prächtiger Bankettsaal, dessen Boden und Wände, vor allem aber die aus güldenen Türen bestehende Fassade mit üppiger Art-déco-Ornamentik prunken. Zwei seitliche Treppen führen in den Hof hinab, in dem Mülltonnen abgestellt sind und in dessen Mitte sich die Zisterne befindet, worin der Täufer darbt.

Anthony Pilavachi bewegt die Figuren sinnfällig auf und zwischen beiden Ebenen. Zwar darf daher Jochanaan den Zisternenschacht verlassen, doch hindern ihn die Sicherheitskräfte daran, zu des Tetrarchen Gemächern hinaufzusteigen. Auf die Schlüsselreize der Stieftochter versessen, begibt sich Herodes indessen ganz von allein in den Hof. Herodias freilich betritt ihn voller Abscheu. Erst, wenn Salome den Kopf des Täufers fordert, macht auch ihrer Mutter der Ort nichts mehr aus. Längst aber ist die räumliche Umgebung der Titelfigur gleichgültig, so heftig giert sie nach den Lippen des Propheten. Letztlich zeigt Pilavachi den Abstieg der gesamten Familie, die nach nichts denn Erfüllung der eigenen Lüste trachtet. Auch wenn das Objekt der Begierde jeweils ein anderes ist, eint den Tetrarchen und seine Stieftochter die Verfallenheit an ihre Sexualität, während die Besessenheit der Herodias Macht und Eitelkeit gilt.

Salome jedenfalls zieht sämtliche Register. Der Tanz der sieben Schleier orientiert sich - dies ein Sprung vom Art déco zurück in die Jahre um die Jahrhundertwende - an den Darbietungen, mit denen die amerikanische Ausdruckstänzerin Loie Fuller ihr Publikum entzückte. Gehüllt in endlose Meter Stoff und mit gewaltigen Flügelarmen, wirbelt die neurotische Prinzessin als Riesenengel aus einer keineswegs himmlischen Welt über die Bühne. Die sonstigen Kostüme, in die Markus Meyer die Damen hüllt, orientieren sich an den Zwanziger Jahren, wobei das Kleid, in das sich Salome quetschen muss, um sich für den Vierfürsten aufzutakeln, sichtlich nicht der Konfektionsgröße der Sängerdarstellerin entspricht. Die Herren tragen Frack oder faschistoide Uniform.

Mihkel Kütson hält mit den Niederrheinischen Sinfonikern die orchestralen Affektwallungen im Zaum, vielmehr sorgen Dirigent und Klangkörper für möglichste Schlankheit und Transparenz. Was nicht mit Spannungsarmut verwechselt werden darf. Im Tanz der sieben Schleier zelebrieren Kütson und sein Orchester regelrecht dessen raffinierte Dramaturgie. Dorothea Herbert in der Titelpartie wartet mit irisierenden Stimmfarben und leuchtenden Spitzentönen auf. Der Herodes von Markus Petsch fährt tenoral mächtig auftrumpfend ins Geschehen. Solide und verlässlich gibt Johannes Schwärsky den Jochanaan. Machtgier und Kälte verleiht Eva Maria Günschmann ihrer Herodias. David Esteban ist ein charaktertenoraler Narraboth.