Ein wahrhaft teuflisches Show-Programm
Ist Mephisto ein ganz „normaler“ Horrorclown oder ist er in diesem Fall der Joker, dessen zerrissene Persönlichkeit Joaquin Phoenix so eindrucksvoll Oscar-prämiert verkörperte? Wie dem auch sei: Tomo Sugao betont in jeder Sekunde seiner Inszenierung von Charles Gounods Faust die Gefährlichkeit des Teufels, die sich hinter allen Tändeleien verbirgt. Mephisto jedenfalls ist der Dreh- und Angelpunkt, um den Sugao seine Sichtweise des Faust spinnt. Der alternde Gelehrte stellt zwar die Frage nach dem Sinn des Lebens, versucht aber nie aktiv eine Antwort zu suchen, sondern begibt sich ganz in die Hand des Herrn der Unterwelt. Und auch Marguerite, Ziel der Begierde des Doktor Faust, leistet wenig Widerstand gegen die teuflischen Einflüsse. Sie gibt sich schnell geschlagen und lässt sich in den Strudel der Ereignisse ziehen.
So wird Mephisto rasend schnell Herr der Szene, Zeremonienmeister des Untergangs. Und Yoshiaki Kimura füllt diese Rolle ganz prächtig aus. Er ist nicht nur stimmlich ein perfekt lockender, beweglicher Verführer, sondern glänzt auch schauspielerisch. Kimura lässt sich ein auf das schnelle, manchmal etwas hektische Tempo, das Regisseur Sugao dem Geschehen verordnet. Denn Sugaos Mephisto ist ein Blender erster Güte, der seine Absichten hinter einer entfalteten Show verbirgt. Er verwandelt das Leben in ein Varieté-Programm. Und das bewährte Ausstatter-Team Timo Dentler und Okarina Peter baut ihm dafür gleich drei mit leuchtenden Glühbirnen bewehrte Guckkasten-Bühnen auf die Szene. In diesen entfaltet sich wilder Totentanz, der alle Menschen einbezieht. Denn alle Männer sind optisch Faust, alle Frauen Marguerite. Und permanent hängt das drohende Verhängnis wie ein unsichtbares Menetekel über allem.
Teuflische Ebenbilder stellen Choreograf Giovanni Cuccaro und der Regisseur dem Teufel zu Seite, die die Geschwindigkeit des Geschehens potenzieren. Das ist alles stimmig und lässt die Tragödie wie in einem Sinnenrausch sich entfalten.
Was aber fehlt, sind Momente der Reflexion. Die gönnt Tomo Sugao seinen Figuren nicht wirklich. Dadurch vergibt er sich die Chance, bis hinein in die Tiefe, in das Ringen um den Sinn menschlicher Existenz zu forschen.
Denn dazu bietet das Ensemble ihm alle Möglichkeiten. Hervorragend wird in Bielefeld nicht nur von Yoshiaki Kimura gesungen. Daniel Pataki kämpft als Faust berührend mit sich und seiner Existenz. Dusica Bijeli? berührt als Marguerite sowohl in den hohen wie in den tiefen Lagen mit unglaublich zartem Piano. Evgueniy Alexiev erstarrt als Valentin förmlich in stimmlich manifestiertem Ehrgefühl und Marija Jokovic evoziert pures Mitleid als zart liebender Siebel. Katja Starke als mannstolle Marthe und Enrico Wenzels Wagner ergänzen stimmstark ein ausgeglichenes Ensemble.
Nicht nur stimmlich, sondern auch schauspielerisch trägt Hagen Enkes Chor viel zur Inszenierung bei. Und die Bielefelder Philharmoniker tragen Gounods ausdrucksvolle Partitur unter Alexander Kalajdzic bis in die tiefsten Winkel des Theaters.