Der Troubadour als Kammerspiel
Spannend war es schon, was Dmitri Tscherniakov mit seiner Deutung von Verdis Il Trovatore versuchte: diese eigentlich nicht wirklich schlüssig und flüssig miteinander kombinierbare Szenenfolge zu verbinden und ihr das Gefüge einer in sich geschlossenen Opernhandlung zu geben. Denn seien wir doch mal ehrlich: Verdis rauschhafte, sogartig in den Bann ziehende Musik täuscht mit selbstverständlicher Nonchalance immer wieder grandios darüber hinweg, dass hier eine eher krude Story erzählt wird. Diese Vorwürfe sind so alt wie Verdis Oper.
Tscherniakov versucht, diese Kritik zu umschiffen, indem er auf eine psychologische Figurenausdeutung setzt, mit der er das Beziehungsgeflecht der Handelnden aufdröseln und Motivationen verdeutlichen will. Und so stellt Tscherniakov eine Versuchsaufstellung auf die Bühne: Jahre später, nach all den Ereignissen, haben sich die Protagonisten von einst eingefunden, um im Rollenspiel ihre Familienkonflikte herauszufinden und zu analysieren. Dazu graucht es keinen Zigeunerchor auf der Bühne, kein Feldlager der Soldaten und auch keine Verließe. Das ist klug, denn dergleichen lenkt gar nicht erst davon ab, wie die Figuren in dieser neuen, aktuellen Konstellation miteinander umgehen und sich zueinander positionieren. Wir sehen also auf der Bühne zunächst ein von Azucena inszeniertes Rollenspiel, bei dem alle Akteure Textskripte bekommen, an die sie sich auch halten. Willig gehen sie auf die Vorgaben ein. Menschen von heute sind sie alle, die sich in einer durchaus stattlichen Villa treffen. Einzig Azucena, die Zigeunerin, scheint etwas aus der Zeit gefallen zu sein. Sie kommt in wallenden Gewändern eher daher wie ein Stummfilm-Star des beginnenden 20. Jahrhunderts.
Und bis zur Pause funktioniert Tscherniakovs Konzept aufs Beste. Fein analysiert er auch in zurückhaltenden Gesten, wie tief die Liebe ist zwischen Leonora und Manrico, wie verzweifelt und am Boden zerstört Luna ist, weil er sieht, dass er Leonora nicht bekommt. Tscherniakov macht spürbar, unter welchem Druck Azucena steht, die alle Familiengeheimnisse kennt. Geradezu aufklärerisch nimmt sich der Regisseur des Trovatore an, zeigt, was aus Verdis Konzeption herauszuarbeiten sein könnte.
Leider macht er all die geleistete Pionierarbeit nach den ersten Szenen wieder zunichte. Denn plötzlich entgleist das Rollenspiel. Es wird zum blutigem Ernst: Graf Luna zückt eine Pistole, zerstört die mit psychologischer Aufarbeitung beschäftigte Familienrunde und beginnt, die Verwandtschaft hinzumetzeln. Und schon bröckelt das Regiekonzept. Warum aus Spiel handgreiflicher Ernst wird, vermag Tscherniakov nicht wirklich zu transportieren. Ein Graf Luna, der dem Wahnsinn anheim fällt, ist eine unglaubwürdige Lösung. Dennoch bleibt der Eindruck eines spannenden, wenn auch letztlich nicht überzeugenden Experiments haften.
Musikalisch bleibt die Inszenierung dem Trovatore nur sehr wenig schuldig. Von der ohnehin nur schwachen Bedeutung des Chores war schon die Rede, ist in diesem Regiekonzept aber konsequent. Gleichwohl setzen Chor und Extrachor der Kölner Oper, bestens vorbereitet von Rustam Samedov, klare Akzente.
Arnold Rutkowski als Manrico konnte, gesundheitlich angeschlagen, seine Partie zwar bis zur Pause mehr als ordentlich bewältigen, aber anschließend nicht beenden. George Oniani von der Oper Bonn sprang dankenswerter Weise singend vom Bühnenrand ein, um die Premiere zu retten, während Rutkowski weiter auf der Bühne darstellerisch präsent war. Giovanni Furlanetto sekundierte als Ferrando stimmlich wunderbar ausgleichend und konnte teilweise den Familienkonflikt entschärfen.
Aurelia Florian als Leonora gelang es mit einer wunderbar volltönenden Tiefe, alle Seelenqualen, die sie in ihrer Liebe zu Manrico durchleiden muss, erfahrbar zu machen. Dabei blieb sie der Partie auch in den hohen Lagen nichts schuldig. Ganz ausgezeichnet auch Marina Prudenskaya in der Rolle der Azucena. Wenn sie von ihren Erfahrungen unaussprechlichen Leids erzählte, ging das stets unter die Haut. Und Scott Hendricks als Luna erwies sich mit seinem markigem Bariton als obsessiv Liebender, dessen Gefühle aber ebenso obsessiv in Hass umschlugen.
Das Gürzenich-Orchester sitzt im Staatenhaus, dem bis auf Weiteres als Ausweichspielstätte der Oper Köln genutzten Bau, links neben der Bühne hinter einem Gaze-Vorhang. Dirigent Will Humburg treibt es mit wahrer Verdi-Leidenschaft zu einer großartigen Leistung - wenngleich sie in diesem akustisch eher unbefriedigenden Provisorium nie zur vollen Wirkung gelangen kann. Doch man spürt unmittelbar, dass Humburg, stünden ihm optimale Bedingungen zur Verfügung, seinem Publikum den perfekten, soghaften Verdi-Sound kredenzt hätte.