Das Ende einer Beziehung
Was wäre wenn? Eine wunderbare Frage. Sie lässt Möglichkeiten und Gedankenspiele zu, die wegführen können von sattsam bekannten Pfaden. Homer beschreibt in seiner Odyssee Penelope als die unerschütterlich Treue, deren Liebe über allem steht - fest und unzerbrechlich. Was wäre wenn auf Odysseus nach zwanzig Jahren Abwesenheit nicht diese treue Gattin gewartet hätte, sondern eine emanzipierte Frau, deren Zuneigung längst der Gleichgültigkeit gewichen wäre?
Das ist die Prämisse, von der Komponist Sebastian Schwab ausgeht, um Claudio Monteverdis Il ritorno d‘Ulisse in patria neu zu denken und zu komponieren. Im Theater Bielefeld hat das ein spannendes Experiment zum Ergebnis: Odysseus‘ Rückkehr.
Monteverdi völlig entschlackt - die volle Konzentration gilt der Familie Odysseus, Penelope und Sohn Telemaco. Wie reagieren sie nach der langen Trennung aufeinander? Denn Papa Odysseus hat zehn Jahre gebraucht, um Troja zu erobern. Dann musste er nochmal zehn Jahre durchs Mittelmeer irrlichtern zur Strafe für seinen Hochmut. Doch jetzt ist er wieder da: Inwendig der starke Held; äußerlich ein Bettler, denn die Phäaken haben ihn „auf den letzten Metern“ ausgeraubt. Und der Sieger von Troja denkt sich, dass seine Frau, die er vor zwanzig Jahren verlassen hat, noch immer dieselbe ist. Weit gefehlt: Penelope ist eine Frau aus der Jetzt-Zeit, entspricht in keiner Weise mehr dem antiken Frauenbild, sondern hat sich innerlich schon sehr lange von Odysseus getrennt. Beim Wiedersehen prallen Wünsche und Imagination aufeinander, die unter keinen Umständen kongruent sind. Da besteht keine Möglichkeit einer Vereinbarkeit mehr.
Regisseur Wolfgang Nägele, Bühnen- und Kostümbildner Timo Dentler und Okarina Peter verorten das Ehedrama, das auf Missverständnissen beruht, in den 50er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts. Das ist eine Zeit, die perfekt passt in den großen Irrtum strikt festgelegter Frauenbilder. Nierentisch und Cocktailsessel sind haptische Zeichen für das Fesseln von Frauen an festgelegt-überkommene Rollen.
Wolfgang Nägele konzentriert seine Inszenierung zurecht auf Penelope, die stark und unabhängig geworden ist. Sie vermag sowohl die sie bedrängenden Freier als auch den Heimkehrer-Gatten auf Distanz zu halten - eine äußerst überlegene Frau.
All das Geschehen kulminiert in einem Familienfrühstück. Dessen vorgetäuschtes Idyll durchbricht Penelope, indem sie stark und ohne Zweifel an der Endgültigkeit ihrer Entscheidung hoch erhobenen Hauptes die Szenerie verlässt, um nie mehr zurückzukehren. Doch Odysseus hat Glück. In seinem Sohn findet er jemanden, der bereit ist, die Position des uneingeschränkten Bewunderers einzunehmen, ohne kritische Fragen zu stellen.
Sebastian Schwab komponiert Monteverdis Stoff neu. Er changiert zwischen markigen Blechbläserstellen und seidenweichen, melodiösen Passagen. Das ist eine Musik, die niemals verstört, nicht wach rüttelt oder aufschrecken lässt. Sie ist aber immer eng angelehnt ans Bühnengeschehen und illustriert das hervorragend. Sie trägt bei zu einem Opernabend, der von einem großen, nie abreißendem Spannungsbogen getragen wird.
Penelope ist das „Unikat“ an diesem Abend. Eine Schauspielerin unter Sänger*innen, die mit einem Song aber auch klarstellt, dass sie sich auf‘s Singen wohl versteht. Christina Huckle verleiht der Penelope Würde und kühlen Glanz. Evgueniy Alexiev ist ein sonorer, respektheischender Odysseus, dessen Ausstrahlung Veronika Lees klarer, unschuldiger Sopran als Telemaco einfach erliegen muss.
Das Ensemble der Freier singt ausgeglichen mit großer Präsenz. Und Gregor Rot trägt mit seinen sechzehn Musikern Schwabs Partitur mühelos in den Theaterraum, der mit 250 Zuschauer*innen besetzt war. Da geht bald mehr! Aber alle zeigen sich angetan von dieser Opernwundertüte!