Don Quixote trifft Sigmund Freud
Und da musste er ja auch letztlich landen, dieser verrückte Alte: in einer psychiatrischen Klinik. Bildet er sich doch ein, Ritter zu sein und kämpft doch nur gegen Windmühlen.
Philipp Kochheim und seine Ausstatterin Uta Fink verorten Don Quixote in der Gründerzeit - Sigmund Freud lässt grüßen. Zugleich sitzen der Ritter von der traurigen Gestalt und Sancho Panza unter Beobachtung in einer gläsernen Schauvitrine. Warum diese zwei Räume neben- oder besser ineinander existieren, erklärt sich nicht so recht. Seelenklempner und Museum - das wird nicht wirklich zueinander geführt oder miteinander verbunden. Insgesamt ist der Raum aber höchst repräsentativ. In ihm tummeln sich die Herren Doktoren und auch die liebe Familie des Erkrankten. Und es putzt (in langem, schwarzem Kleid!) des Ritters angebetete Dulcinea, die ihrem Ritter folgerichtig dann auch einen Wischmopp als Zeichen ihrer Gunst überreicht.
In diesem Szenario entfaltet sich Dale Wassermans Musical-Version von Cervantes‘ Stoff. Wasserman, Komponist Mitch Leigh und Song-Texter Joe Darion wollen vor allem darin bestärken, an Träumen, Plänen und Idealen auch dann festzuhalten, wenn deren Umsetzung und Verwirklichung nahezu unmöglich erscheinen mögen. Und so scheint die Verortung in etwas, das man früher „Irrenanstalt“ genannt hat, eigentlich folgerichtig. Denn dort werden die Ideale des Mannes von La Mancha, mit allen Mitteln versucht zu ersticken - Fixierung und Zwangsjacke inklusive.
Und dennoch zündet Kochheims Konzept leider nicht wirklich. Das liegt nicht nur daran, dass eher actionreiche Szenen sich in Dunkelheit abspielen. Wasserman hat in seinem Musical ein Theater auf dem Theater angelegt. Sein Don Quixote spielt im Kerker der Inquisition, in dem Autor Cervantes sein Buch rechtfertigen muss. So werden Utopien unmittelbar und handgreiflich bedroht.Vielleicht kommt diese Bedrohung bei Kochheim eher sekundär daher und nimmt nicht unmittelbar gefangen. Ein Grund mag aber auch darin liegen, dass das Stück musikalisch in seiner Gesamtheit eben auch kein Evergreen ist. Klar, es gibt viele, eingängige Melodien. Doch ist der Mann von La Mancha vor allem gut gemachte Musical-Handwerkskunst. Das wird umso deutlicher, vergegenwärtigt man sich, dass neun Jahre früher ein Meilenstein wie My Fair Lady und sechs Jahre später Andrew Lloyd Webbers Jesus Christ Superstar herauskam.
Das Ensemble bemüht sich redlich, Funken zu schlagen. Die Herren des Chores als schwarz gewandete Pfleger sind ebenso souverän wie Enrique Bernardo als Barbier und Lars Hübel als Dr. Carrasco. Melanie Spitau und Katarzyna Grabosz als nicht wirklich uneigennützige Verwandte fügen sich gut ins Ensemble, das Youn-Seong Shim als Doktor ergänzt.
Mark Watson Williams ist Sancho Panza. Er bekundet mit hellem Tenor seine unbedingte Treue zu seinem Herrn, dessen Willen, Gutes zu tun, ihm imponiert. Dafür ist er bereit, über Merkwürdigkeiten im Verhalten hinwegzusehen.
Aldonza ist hier keine Hure, sondern eine Putzfrau. Sie hat große Schwierigkeiten, die ihr entgegengebrachte Verehrung zu akzeptieren. Nana Dzidziguri streicht besonders die seelischen Verletzungen, die Aldonza erlitten hat, heraus.
Und Don Quixote? Gregor Dalal singt ihn mit von innen heraus strahlender Souveränität. Diesen Mann kann nichts, aber auch gar nichts von seiner Mission abbringen, die Welt ein kleines bisschen besser zu machen und verleiht seiner Aufgabe in „The Impossible Dream“ stimmgewaltig Nachdruck.
Golo Berg und das Sinfonieorchester Münster geben den Songs die dazu gehörige Portion Lokalkolorit mit Paso doble und Kastagnettengeklappere. Feurige Bravorufe aber kann dieser Mann von La Mancha beim Publikum nicht entfachen. Doch das Ensemble darf in warmem, freundlichem Applaus baden.