Addio speranza
Mord aus Eifersucht, ein Selbstmord als Erlösung und zum Schluss ein Betrug um des schnöden Mammons willen. Il Trittico - in seinem Triptychon vereint Giacomo Puccini extreme Situationen menschlichen Lebens und fächert es in seiner ganzen Bandbreite auf.
Il Tabarro erzählt eine abgrundtiefe Geschichte von Liebe, Verzweiflung und Mord. Flussschiffer Michele und Giorgetta haben ihren kleinen Sohn verloren. Mit diesem Verlust ist ihre Liebe gestorben. Giorgetta will ihr Nomadenleben auf den Flüssen beenden, sehnt sich nach einer kleinbürgerlichen Vorstadtidylle und verliebt sich deshalb in Luigi, der ihre Träume teilt. Rasend vor Eifersucht ersticht Michele seinen Rivalen und konfrontiert Giorgetta mit der Leiche. Regisseur Roland Schwab und Bühnenbildner Piero Vinciguerra lassen ihre Figuren in einem Wasserbecken waten, das sich an der Decke spiegelt. Sie können ihrer eigenen Schuld genauso wenig entkommen wie dem Wasser. „Kein Erinnern“ gemahnen Schriftzeichen an frühere und glücklichere Zeiten. Wie ein Menetekel schwimmt eine Kinderleiche im Wasser.
Das tote Kind schafft die gelungene Verbindung zu Suor Angelica. Die wurde vor sieben Jahren nach der Geburt eines unehelichen Kindes zur Buße in ein Kloster geschickt und wartet unmenschlich lange auf Nachricht von ihrem Kind. Dann erscheint ihre Tante wegen einer Erbschaftsangelegenheit im Kloster. Angelica erfährt dabei eher en passant, dass ihr Sohn vor Jahren gestorben ist. Das raubt ihr den letzten Lebensmut und sie begeht Selbstmord. Auch musikalisch markiert diese Szene den fließenden Übergang in leichten Kitsch und Roland Schwab lässt das zu Recht auch zu. Im Arm das tropfnasse tote Kind, träumt Angelica im Wasser stehend vom Wiedersehen im Himmel - eine wahrhaft tränenreiche Pietà. Punkten kann Gabriele Rupprecht mit ihren Gewändern für die Nonnen. Mit deren vielen Schattierungen der Farbe Grau gibt sie den Frauen Individualität und auch Angelicas Sünderinnengewand ist nicht mehr tiefrot, sondern leicht rötlich. Da wurde schon viel Buße getan und eine Menge Schuld herausgewaschen.
Ungezügelten Humor versprüht Schwab in Gianni Schicchi. Hier wird das Becken zum Pool im Garten der chicken Villa, an dessen Rand sich der reiche Buoso Donati mit einer Kugel das Leben auspustet. Und schon tummelt sich auf hippen, aufblasbaren Strandsesseln und der Massageliege die liebe Verwandtschaft und macht schnell klar, wie sehr die Bühne zum Spiegel des wirklichen Lebens wird: wenn’s ordentlich was zu holen gibt, fallen alle moralischen Konventionen in ein tiefes Loch oder eben in den Pool. Aber Habgier rächt sich in Puccinis Komödie bitter. Am Ende schanzt Schicchi sich die Filetstücke des Erbes selber zu und alle anderen sind die Gefoppten - „Addio speranza“!
Das Ensemble des Aalto-Theaters Essen beweist, wie breit es aufgestellt ist. Da blieben bei den kleineren Partien nirgendwo Wünsche offen: Solist*innen und Chor bilden an einem musikalisch starken Abend ein unheimlich starkes Fundament. Besonders die Erbschleicher-Meute in Gianni Schicchi ist wunderbar individuell gezeichnet.
Dort sind Lilian Farahani und Carlos Cardoso ein entzückend stimmschön turtelndes Liebespaar, ohne dass Farahani den Schlager „O mio babbino caro“ zum „Hinhörer“ machen kann. Die Titelpartie singt mit großem Spaß an der Burleske Heiko Trinsinger, der im Tabarro ebenso überzeugend den brachial-rasenden Michele gestaltet. Annemarie Kremers Giorgetta vermittelt eher tiefe Niedergeschlagenheit. Obwohl sie von Hoffnung und Liebe singt, scheinen diese bereits in ihr gestorben zu zu sein. Bettina Ranch ist die Fürstin in Suor Angelica. Und sie ist kalt. Diese Eiseskälte vermittelt Ranch unmittelbar und lässt jedes Gefühl erfrieren. Wie anders da Jessica Muirhead. Ihre Angelica bebt in jeder Minute vor Emotion. Und Muirhead scheut sich nicht, sie ungezügelt freizulassen und dennoch fein zu nuancieren - großartig.
Roberto Rizzi Brignoli und die Essener Philharmoniker schaffen vom ersten Ton an Puccini-Klänge vom Feinsten - zugleich schwelgerisch und detailverliebt. Das Publikum feiert einen Abend, der vor allem musikalisch Akzente setzt, aber auch mit gelungenen Bildern aufwartet.