Ganz feines Gruseln
Was passiert in The Turn of the Screw, dieser Oper, die auf einer Gothic Novel von Henry James beruht? Eine Gouvernante reist in ein einsames Landhaus, trifft auf zwei Kinder und eine Haushälterin. Dann betreten zwei tote Bedienstete die Szene und locken die Kinder zum Aufbegehren gegen die Gouvernante. Am Ende wird das Mädchen Flora gerettet, der Junge Miles stirbt. Wie kommt es dazu? Viel liegt - dies ein Merkmal der Gothic Novel wie auch von Brittens Werk - im Ungesagten, Angedeuteten. Hat es einen Mord gegeben, psychische Störungen oder etwa Pädophilie? Möglich auch, dass alles nur der Fantasie der Gouvernante entspringt.
Diese Ungewissheit prägt auch Georg Heckels Inszenierung von Benjamin Brittens The Turn of the Screw. Heckel stellt Fragen, entscheidet sich aber nicht für eine dezidierte Deutung, erhöht so die Wirkung des indifferenten Grusels.
Es ist das Licht, das die Szene bestimmt, dem Geschehen seinen Stempel aufdrückt. Blautöne sind es, die in tiefes Schwarz übergehen. Nichts ist klar von einander abgegrenzt, verschwimmt und wird schemenhaft. Was ist wahr, was nicht? Was ist geschehen, was nicht? Ein heller Scheinwerfer scheint kurz grell auf; das Licht verschwindet jedoch so schnell, wie es gekommen ist. Ein Irrlicht, das trügerisch eine falsche Fährte auslegt? Carsten-Alexander Lenauer leistet hier großartige Arbeit.
Drei Holzkästen ohne Rückwände auf der Bühne sind das Höchstmaß an Realismus, das sich Heckel gestattet. Timo Dentler und Okarina Peter bauen sie ihm, um bei den Kostümen gleich wieder auf‘s sachte Gruseln zu setzen: die Geistergouvernante als hochschwangere Primaballerina und ein wie ein Pantomine auftretender untoter Diener Quint weisen wieder direkt ins Surreale, weichen Anklänge an geerdete Wirklichkeit auf. Heckel und sein Team zeigen eine Gothic Novel im besten Sinne.
Das bis in die Haarspitzen hinein motivierte Ensemble setzt Heckels Vorgaben ziemlich perfekt um. Stephanie Hershaw als Flora spürt fein wie Engelshaar nach, wie sie immer stärker in die Abhängigkeit der Geister gerät. Johann Kaßmann vom Gütersloher Knabenchor ist ein fast somnambuler Miles, der letztlich narkotisch eingelullt wird vom Werben Quints. Lotte Kortenhaus ist eine zutiefst verstörte tote Miss Jessel, gebeugt ob ihres tragischen Schicksals, das Kortenhaus mit jeder Silbe beglaubigt. Aktiv böse und lockend dagegen der Quint. Stephen Chambers buhlt um Miles‘ Gunst, gurrt, lockt und umgarnt den Jungen mit allen stimmlichen Finessen. Als gutherzige, aber letztlich hilflose Haushälterin Mrs. Grose überzeugt Monika Walerowicz auf ganzer Linie. Kraftvoll und satt ist ihre Stimme, die sie aber auch zweifelnd und ängstlich perfekt einzusetzen vermag.
Dreh- und Angelpunkt dieser Turn of the Screw ist die Gouvernante Emily Dorns. Zutiefst menschlich ist sie uns nah und weiß Zuversicht, Freude, Liebe, Angst und Verzweiflung mit ihrer wandlungsfähigen Stimme nahezubringen.
Vierzehn Musiker:innen benötigt Benjamin Britten, um einen intensiven Klangkosmos zu gestalten. Den Mitgliedern des Symphonischen Orchesters des Landestheaters Detmold unter György Mészáros gelingt, es das Feinnervige und die psychologischen Momente herauszukitzeln, auch wenn es an einigen Stellen noch etwas präziser hätte geschehen können.
Das Detmolder Publikum feiert zurecht einen unter die Haut gehenden Opernabend.