Nur der Tod verspricht Freiheit
Wie einfach das doch alles zu sein scheint: Tatjana Gürbaca hat genau hinein gehört in Leoš Janáceks Partitur seiner Katja Kabanova und spürt ihren fein gezeichneten Psychogrammen der Figuren nach, macht sie nuanciert auf der Bühne sichtbar. Ja, das scheint einfach zu sein und ist doch so schwer. Doch Gürbaca gelingt es mit stupender Genauigkeit, die Seelenzustände des Janácekschen Figurentableaus dem Publikum im Theater Duisburg sehr - beinahe beängstigend - nahe zu bringen.
Da ist die alte Kabanicha, hart geworden durch das karge Leben in dörflicher Enge. Diese Härte überträgt sie auf ihren Sohn Tichon, zwingt ihn, sie auch seiner Frau Katja gegenüber zu zeigen. Er beugt sich diesem Diktat, obwohl er Liebe spürt zu Katja, die ihm ein Stück Unabhängigkeit und Freiheit verspricht. Und Katja ist Tichon zugetan, verzweifelt jedoch an den eingefahrenen Strukturen des Lebens. Deshalb stürzt sie sich in eine Affäre mit Boris, in der sie ein Stück unbeschwerten Glücks erleben kann. Das ist die explosive Mischung, die Janá?ek ausbreitet und die sich letztendlich in einem Gewitter entlädt.
Henrik Ahr schafft mit einer von Holz dominierten und IKEA-mäßigen Charme ausstrahlenden Bühne den idealen Rahmen für das Geschehen, weil er dörfliche Uniformität und Enge vermittelt und nicht ablenkt von Seelenqualen und Ausbruchsversuchen.
Auf die konzentriert sich Gürbaca, breitet sie bisweilen mit quälender Langsamkeit aus, lässt ihr Publikum die allerkleinste Seelenwunde spüren - genau wie Janá?ek in seiner Musik. Das ist ebenso beklemmend wie großartig, zieht die Zuhörenden, Zusehenden hinein in die Figuren.
Gürbaca gibt dem Mitleiden Gestalt. Das manifestiert sich vor allem am Schluss. Während Katja Kabanova sich verabschiedet vom Leben, ihre Qualen hinausschreit, halten alle Anderen zwanghaft an Alltagshandlungen fest. Sie flüchten sich in wiederholende Routinehandlungen, um ihr Leben weiter ertragen zu können und seine Berechtigung zu beglaubigen.
Auch musikalisch lässt die Produktion keine Wünsche offen. Bis in die kleinste Rolle ist alles nahezu optimal besetzt. Lebensfroh und den Ausweg in der Flucht suchend bringt Anna Harwey als Varvara Momente von Fröhlichkeit ins Geschehen und Cornel Frey als ihr Lover Kudrjasch großstädtischen Intellekt. Daniel Frank als Boris trifft in Katja eine Seelenverwandte. Beide leiden an der dörflichen Enge und werden einander geradezu in die Arme getrieben. Boris als einer unter der Knute seines Onkels Leidender - mit leuchtenden Ausbrüchen, die seine Sehnsucht nach Neuem, Anderem kennzeichnen. Den Onkel gibt Sami Luttinen roh und ungeschlacht. Eva Urbanová ist die böse Schwiegermutter: Hart und kompromisslos; ganz unbarmherzige Vertreterin der herrschenden Ordnung.
Tichon liebt seine Frau Katja. Er ist hin- und hergerissen zwischen alter Ordnung und inniger Liebe, die auch Freiheiten fordern kann und muss. Matthias Klink spürt diesem disparaten Charakter faszinierend und facettenreich nach. Absolute Zerrissenheit offenbart auch Silvia Hamvasi in der Titelrolle. Tief empfundene Liebe zu ihrem Mann kontrastiert sie glaubwürdig mit ihrer Liaison mit Boris. Das passt alles zusammen und wieder doch nicht. Das offenbart sie in ihrer Abschiedsrede. Sie kann nicht mehr, will nicht mehr leben. Ihre Umwelt hat sie zum Selbstmord getrieben. Hamvasi rast, tobt und ist wie von Ängsten besessen. Ein Katja-Debut, das sie für weitere Janá?ek-Rollen zu prädestinieren scheint.
Die Duisburger Philharmoniker unter Axel Kober entwickeln Janá?eks so differenzierte, schillernde Musik feinnervig und mit großem Gefühl für ihre dramatische Kraft - ein in jeder Hinsicht aufregender Opernabend.