Don Carlo im Essen, Aalto-Theater

Düstere Aussichten

Wer Giuseppe Verdis Don Carlo auf die Bühne bringen möchte, steht vor der Entscheidung, welche der sieben Fassungen Grundlage der Inszenierung sein soll. Robert Carsens Wahl fiel auf die vieraktige „Mailänder Fassung“, die 2016 in der Opéra national du Rhin Strasbourg herauskam und nun ihre vom Publikum gefeierte Premiere im Essener Aalto-Theater erleben konnte.

Die Mailänder Version des Don Carlo sei „sehr intim, kurz, konzentriert und sehr intensiv“, so Carsen in einem Interview. Hier gebe es „nichts Nebensächliches“. Dieser Analyse Carsens folgt sein Blick auf das dreieinhalbstündige Drama, das geprägt wird, ja dominiert ist von der Farbe Schwarz. Ein riesiger, nach oben hin offener Kubus beherrscht die Bühne von Radu Boruzescu: rabenschwarze Wände, ebenerdig durchbrochen von Türen, darüber von Fenstern, die sich öffnen und schließen lassen. Ein klösterlicher Kreuzgang, der Innenraum einer Kirche, das Arbeitszimmer von König Filippo II., ein dunkler Kerker… - je nach Beleuchtung schillert das Schwarz, mal völlig matt, mal anthrazitfarben reflektierend. Keine Frage, dass in einer derart unwirtlichen und geradezu künstlichen Atmosphäre kein echtes Leben aufkeimt, sich keine realen Beziehungen entwickeln können. Hier geht es um Macht und Ohnmacht, um unmögliche Liebe und irreale Träume. Frostige Zeiten also. Allgegenwärtig springen die Symbole menschlicher Vergänglichkeit in die Augen. Und deshalb wirkt alles an Bewegung auf Distanz und wie eingefroren. Von Nähe kaum oder nur selten mal eine Spur.

Robert Carsen interessiert sich für die Psychologie der handelnden Personen, denen im Grunde eines gemein ist: ihr Scheitern! Da ist Don Carlo, der erfolglos gegen seinen Vater rebelliert und Freiheit für Flandern fordert. Gaston Rivero stattet ihn mit metallischem, knalligem Tenor aus. Elisabetta liebt Don Carlo, muss aber aus Staatsräson Filippo ehelichen. Gabrielle Mouhlen gibt die Königin darstellerisch würdevoll, sängerisch ein klein wenig blass.

Der Marquis von Posa, geriert sich als Freiheitskämpfer ohne Aussicht auf Erfolg (normalerweise!) und beglaubigt dies mit üppigem, raumgreifendem Bariton. Prinzessin Eboli, die bei Carlo keine Chance hat - auch sie eine scheiternde Figur, die aus Missgunst Elisabetta bei Filippo verrät. Nora Sourouzian punktet stimmlich im Schleierlied, das von der Regie als hölzerne Bewegungsübung eines Kollektivs aus Ordensschwestern angelegt wird.

Und schließlich ist da der König selbst: ein Einsamer, dem es um Machterhalt geht, der aber auch Momente des Zweifels spürbar werden lässt. Ante Jerkunica meistert seine Partie in jeder Hinsicht außerordentlich überzeugend. Seinen Ratgeber, den Großinquisitor, gibt Karl-Heinz Lehner mit großer vokaler Eindringlichkeit.

Carsens Personenführung bleibt über weite Strecken statisch. Und wenn es Bewegung gibt, dann folgt sie einer konsequenten Symmetrie. Sicher: eine solche Lesart richtet den Fokus auf die inneren Prozesse der Protagonisten. Die eigentliche Dramatik entwickelt sich stattdessen im Orchestergraben, wo Andrea Sanguineti zusammen mit den Essener Philharmonikern die ganze Bandbreite der Verdischen Musik entfaltet.

So zwingend ein solches Regiekonzept ist, so ermüdend wirkt der dauerhafte Blicks ins Schwarz. Selbst das Autodafé am Ende des zweiten Aktes bleibt eine kühle, starr zeremoniell angelegte Sache. Wo sich sonst die aufgeheizten Volksmassen begierig an einem grausamen Spektakel ergötzen, ist es eine klerikale Hundertschaft mit schwarzen Bischofsmützen, denen die Verurteilten vorgeführt werden. Statt deren Leiber kokeln bei Carsen kistenweise herangeschleppte Bücher (nicht ganz unproblematisch, da hierzulande ziemlich eindeutig anders konnotiert). Und die buchstäbliche Krönung des Autodafé ist, dass Filippo sich die Tiara aufsetzen lässt - Zeichen der päpstlichen (!) Macht. Reichsapfel und Schwert kommen hinzu. Sie tauchen ganz am Ende wieder auf, zieren allerdings jemand anderen: Rodrigo, den Marquis von Posa! Es lebe der neue König?! Ja, denn Posa wurde beim Besuch seines Freundes, des Infanten Carlo, im Gefängnis nur zum Schein erschossen (wie Tosca es gegenüber Cavaradossi so gern gehabt hätte), Filippo dagegen von seinem eigenen Vater Karl liquidiert. Ein echter Coup de théâtre. Posa als Überläufer? Als Verräter Flanderns, für dessen Freiheit er doch so vehement gegenüber Filippo aufgetreten war? Nun die spanische Krone auf seinem Haupt tragend? In der Tat eine höchst eigenwillige, diskussionswürdige Interpretation!