Verliebt in den fernen Vetter
Die Inszenierung sollte schon vor zwei Jahren „über die Bühne“ gehen, fiel aber dem Virus zum Opfer: Und so kommt es, dass Ulrich Peters seine Intendanz mit dem Vetter aus Dingsda beendet. Eher unfreiwillig rundet sich deshalb ein Kreis, denn vorgestellt hatte er sich in Münster mit Im weißen Rössl. Seine Liebe zur Operette bildet also eine Klammer, die zehn Jahre quasi umspannt.
Und wie tief diese Liebe ist, zeigt der Umgang, den Peters mit der Handlung an den Tag legt. Sie abzubilden und seinem Publikum nahe zu bringen, ist die Maxime, mit der er sich dem Stoff widmet.
Eduard Künneke erzählt die Geschichte von Julia, die sich aus kindlicher Schwärmerei in eine Liebe zu ihrem ausgewanderten Vetter Roderich hineinsteigert. Sie idealisiert ihn immer mehr. Und dann begegnet sie einem anderen Mann, in den sie sich auf der Stelle verliebt. Dennoch hält sie ihrem Traumbild Roderich die Treue und weist den Neuen erst einmal zurück.Doch am Ende wird Julia auf den Boden der Realität zurückgeholt und einem allumfassenden Happy-End steht nichts mehr im Wege.
Das Geschehen illustriert Peters in einer üppigen Kulisse, die ihm Bernd Franke baut. In deren Zentrum steht eine Terrasse, begrenzt vom Wohnhaus der Familie und einem Gartenpavillon, bewachsen mit Spalierobst. Im Hintergrund wird ein weitläufiger parkähnlicher Garten angedeutet. Bernhard Niechotz‘ Kostüme entsprechen der Entstehungszeit der 1921 uraufgeführten Operette. Die Jugend ist modisch im Stil der Zeit gekleidet, Onkel und Tante dagegen ganz der Vergangenheit verhaftet.
Vor diesem Hintergrund schafft Peters sinnfällige Figurenkonstellationen, evoziert komische Szenen, die dem Publikum Lachen und Prusten entlocken - Operette, wie man sie kennt. Wohliges Wohlfühlbehagen breitet sich aus und beim „Ich bin nur ein armer Wandergesell“ wird mitgesungen oder gesummt. Bei dem einen oder der anderen - gerade der älteren Generation - steigt sicher das Bild von Rudolf Schock aus der Erinnerung hervor…
Künnekes Musik ist farbig, vielfältig, eingängig und jung. Und sie ist vor allem eines: im besten Sinne Tanz-Musik. Vom Tango bis zum Walzer verarbeitet der Komponist die ganze Vielfalt der Tänze: Sogar ein Paso Doble ist zu hören. Hier hat das Regieteam vielleicht etwas verschenkt. Es ist zu wenig Bewegung drin in diesem Vetter aus Dingsda. Bei der schwung- und spannungsvollen Interpretation des Sinfonieorchesters unter Thorsten Schmid-Kapfenburg zuckt es doch schon beim Hören in den Füßen. Davon ist auf der Bühne dann doch reichlich wenig zu sehen.
Peters hat für den Vetter aus Dingsda ein prächtiges Operettenensemble zusammengestellt. Tanja Kuhn ist eine schmachtend-träumende Julia, die vom munteren Hannchen Kathrin Philips umschwirrt wird. Ein perfektes Terzett von Operetten-Buffotenören flirten die beiden gnadenlos mit leuchtenden Tönen an. David Zimmer als der echte Roderich hat Hannchen blitzschnell für sich eingenommen und Hans Kittelmann ist als tolpatschiger Egon sängerisch wie darstellerisch eine Wucht. Und Martin Koch? Den muss die Julia einfach lieben, denn sein „Wandergesell“ ist zum Losheulen schön.
Das Ensemble wird ergänzt durch Rainer Zaun und Suzanne McLeod, die stimmgewaltig als Onkel und Tante ihre Meinungsführerschaft einfordern und doch von den Ereignissen überrollt werden. Lars Hübel und Christian-Kai Sander sekundieren als Diener stimmlich verlässlich ihrer „Herrschaft“. Unausgewogen ist oftmals das klangliche Verhältnis von singendem Ensemble und Orchester. Das führt leider zu weitgehender Textunverständlichkeit. Schade!
Ulrich Peters entlässt sein Publikum mit schönen Operettenklängen, die auf der Bühne nicht gegen den Strich gebürstet werden. So verabschiedet er sich in den „Unruhestand“, um das Badische Staatstheater Karlsruhe zu befrieden, an dem es hoch her gehen soll. Wir wünschen ihm, dass er dort einen so harmonischen Zustand zu verwirklichen mag wie in Münster auf der Bühne bei seinem Vetter aus Dingsda.