Eine Nagelbombe im Sängerkrieg
Was haben die Oper Tannhäuser und die Mordanschläge des NSU miteinander zu tun? Natürlich nichts – es sei denn, man engagiert für Richard Wagners romantischen Dreiakter einen Regisseur, der sich bereits für das Schauspiel Köln intensiv und erfolgreich mit dem perfiden Nagelbombenattentat in der Kölner Keupstraße befasst hat. Das gilt für Nuran David Calis, der jetzt in Wuppertal seine erste abendfüllende Operninszenierung realisieren durfte.
Beschäftigt mit Fragen nach Schuld und Sühne, geht er ungelenk daran, Zusammenhänge zwischen der thüringischen Wartburg im 13. Jahrhundert und der als „Türkenstraße“ geschmähten Kölner Geschäftszeile im Jahr 2004 zu konstruieren. Er schickt Tannhäuser auf den Kiez, wo er sich im „Club Venus“ auslebt, bevor es ihn zur Antifa-Aktivistin Elisabeth zieht. Calis arbeitet sich an einem widersprüchlichen Deutschland-Bild ab: hier der Sängerkrieg, eine Multikulti-Party im Hinterhof, dort das Attentat des NSU, das mit voller Absicht auf hohe Opferzahlen zielte.
Indessen will die Überblendung der Zeiten und Themen nicht funktionieren. Wenn der Pilgerchor die Suppenküche eröffnet und Elisabeth und Tannhäuser Peace-Zeichen auf Pappschilder malen, reiben sich die Ebenen schmerzlich aneinander. Auch ist es eine kühne Behauptung, dass die drei Live-Kameras auf der Bühne irgendeinen Erkenntnisgewinn brächten. Die drei Projektionsflächen über der Bühne gewinnen erst Bedeutung, wenn Bilder von Überwachungskameras und Auszüge aus dem Bekennervideo des NSU gezeigt werden. Ob es sinnvoll ist, der von Rechtsextremisten produzierten Propaganda auf diese Weise nochmals Öffentlichkeit zu verschaffen, steht auf einem anderen Blatt.
Bühnenbild (Anne Ehrlich) und Kostüme (Anna Sünkel) zitieren eine dem Kiez angemessene Ästhetik des Schäbigen. Mit Blick auf die musikalischen Leistungen des Abends hätte man diesem Tannhäuser oft mehr Feststimmung gewünscht. Unter Corona-Bedingungen unternimmt das Haus für diese zweimal verschobene Premiere eine Kraftanstrengung, die für viele zum Erfolg und für einige zum Triumph gerät.
Gefeiert wird vor allem der Einstand des erst sechsundjährigen Dirigenten Patrick Hahn, der als neuer Wuppertaler GMD Um- und Übersicht beweist. Er hält das Orchester im ersten Akt zu beinahe kammermusikalischer Feinheit an. Das klingt zuweilen etwas dünn, verzichtet aber angenehm auf Pathos und gibt den Sängern Zeit, in ihre Partien hinein zu finden. Gemeinsam mit ihnen blüht das Orchester immer weiter auf: feierlich in den Pilgerchören, überschwänglich im Jubelsang der Elisabeth, voller Schwärze in den Fluch-Motiven. Das Vorspiel zum dritten Akt zieht den Vorhang auf für das große Drama. Wo das Blech hinab steigt in die Tiefen der Todesahnung, verweisen Holzbläser und Streicher auf Himmelsregionen.
Mit Norbert Ernst (Tannhäuser) und Julie Adams (Elisabeth) hat die Oper Wuppertal Gäste engagiert, die der Produktion maßgeblich zum Erfolg verhelfen. Ernst teilt seine Kraft für dieses Rollendebüt klug ein, steigert sich im zweiten Akt machtvoll in die Rufe des Erbarmens hinein und besitzt auch genug Reserven, um die Rom-Erzählung auf den Gipfel der Verzweiflung zu führen. Julie Adams Debüt ist eine Elisabeth von umwerfendem Elan. Dramatischer Ausdruck klingt bei ihr nie forciert; zudem kombiniert sie ihn mit mädchenhaften Farben, reicht in ihrer Schluss-Szene gar an die Innigkeit einer Desdemona heran. Allison Cook zeigt als Venus stimmliche Vehemenz, und obschon ihr Vibrato nicht immer ohne Schärfe klingt, ist sie in den Tiefen der Partie erfreulich souverän.
Aus dem Ensemble sekundiert Simon Stricker dem Trio mit sonorem Bariton: Seine Ode an den Abendstern gerät wunderbar mild und melancholisch. Sangmin Jeon bietet als Walther von der Vogelweide einen lyrisch-schlanken Kontrast zum Tenor des Tannhäuser. Opern- und Extrachor der Wuppertaler Bühnen zeigen sich entgegen der zuvor gemachten Ankündigung keineswegs krankheitsgeschwächt. Sonderapplaus erhalten der Knabensolist der Chorakademie Dortmund und der Kinderchor der Wuppertaler Bühnen.
Mit Elisabeth, die im letzten Akt an einer Feuerstelle auf die Rückkehr der Pilger wartet, findet auch die Inszenierung in friedvolleres Fahrwasser. Die aktivistischen Hashtags, die Bilder der Tatorte und die belehrenden Laufbänder über rechtsextremistische Gräueltaten sind zu diesem Zeitpunkt aber schon erloschen.