Orpheus in der Unterwelt im Dortmund, Oper

Posts, Klicks und Likes

Oper erleben! Unter diesem Titel hat Alexander Becker schon viele reizvolle Projekte mit der Jungen Oper Dortmund realisiert. Projekte, die viele Jugendliche mitnahmen, ihnen die Möglichkeit gaben, sich künstlerisch zu entfalten, Talente auszuprobieren. Nicht zuletzt sich vor allem als Teil eines Kollektivs zu begreifen und gemeinsam einen scheinbar unüberwindbaren Berg an Aufgaben zu meistern: Man erinnere sich da an die vortreffliche Umsetzung des schon klassisch zu nennenden Musicals Linie 1 im Jahr 2018.

Doch dieses Mal ist alles ein wenig anders: Becker nimmt sich ein klassisches Repertoirestück des Musiktheaters vor - Jacques Offenbachs Orpheus in der Unterwelt. Kann es gelingen, diese zutiefst ironische, bitterböse Gesellschafts-Satire Jugendlichen nahezubringen und sie zu bewegen, mit Spaß auch dieses Unternehmen zu meistern? Becker beweist, dass es klappen kann.

Denn er transformiert den Orpheus mitten hinein in die Konkurrenz zweier hipper Studios, die um die Vormachtstellung lukrativer Aufrufe, Likes und Re-Posts streiten und auch Waren in der Manier von QVC zu verkaufen trachten. Jupiter und sein Bruder Pluto wollen an der schönen neuen digitalen Welt verdienen. Doch während es bei Pluto in der Unterwelt brummt, hat Jupiter im Olymp so seine Probleme: Tochter Diana beispielsweise ist als Fitness-Göttin beinahe am Ende. Ist sie doch völlig ausgelaugt und taugt kaum noch für ihre Rolle.

Dabei hat Pluto schon einen neuen Stern am TicToc-Himmel entdeckt: Beim Tindern ist er auf Eurydike gestoßen. Die ist gelangweilt vom ewig Violine spielenden Gatten und wäre durchaus bereit, in die schöne, neue Medienwelt abzutauchen. Und auch Orpheus hätte nichts dagegen, ein neues Kapitel in seinem Leben aufzuschlagen. Alles easy also? Von wegen: das scheinbar mühelose Happy-End wird verhindert durch die Paartherapeutin und Bloggerin Öffentliche Meinung. Die will diese Ehe nicht verloren geben, weil sie fürchtet, dadurch Follower zu verlieren. Und so zwingt sie Orpheus, seiner Gattin zu folgen in die Welt der Klicks und Posts, die ihm so fern liegt.

Und was passiert am Ende? Eurydike hat schlicht keinen Bock mehr auf das mediale Getue, macht sich frei und will ihr Leben zukünftig selbst gestalten, während der Gatte zarte Bande in ein neues schwules Glück knüpft.

Die „Verarschten“ wären also Jupiter und Pluto. - ihre Unternehmungen damit ziemlich am Ende. Ja, wenn nicht die rettende Idee käme: Offenbachs unsterblicher „CanCan“ wird gepostet und geht viral - statt „Jerusalem“ tanzen alle jetzt „CanCan“ wie Video-Einspielungen beweisen. Am Ende sind alle glücklich. Das würde Offenbach vielleicht nicht ganz behagt haben. Aber schon er sah milde auf gesellschaftliche Schwächen, kritisierte liebevoll und ohne Häme.

Das tut auch Alexander Becker. Ihm gelingt es behende und leichtfüßig, Offenbachs Orpheus in der Unterwelt in die Gegenwart zu geleiten - ohne Brüche und gewaltsame Verbiegungen. Es sei nur ein kleiner Kritikpunkt angemerkt: Ludwig Kalischs deutsche Gesangstexte wirken in dieser Inszenierung wie altmodische Fremdkörper. Aber das lässt das wirbelnde Geschehen auf der Bühne jederzeit vergessen.

Aber das wirklich Großartige, dass Becker mit dieser Inszenierung gelingt ist der Beweis, dass es geht. Wenn man eine Mischung aus Profis und Amateur*innen begeistert für ein Projekt, sie zusammenschweißt und alle den Spaß, der die Arbeit macht, authentisch ins Publikum tragen lässt, kann auch „große Operette“ gelingen. Beckers Projekt fordert eminent Nachfolgeinszenierungen in dieser Projektform, sollte aber auch Vorbild sein für andere Häuser.

Da ist was ganz Tolles in Westfalen aufgeblüht, das Respekt zollen muss neben großer Freude und unbändigem Spaß - eine tiefe Verbeugung vor allen Beteiligten.