Übrigens …

Madama Butterfly im Detmold, Landestheater

Gardine auf! – Gardine zu!

Ein letztes Mal wird der Vorhang zugezogen und Cio-Cio-San haucht ihr Leben diskret aus. Kein sichtbarer Tropfen Blut befleckt den edlen Seidenkimono der Titelheldin und stört den Mythos der durch „sauberen“, formvollendeten Seppuku aus dem Leben Scheidenden.

Im Landestheater Detmold endet Puccinis Madama Butterfly genauso wie sie begonnen hat: Dekorative Bilder sind die Maxime des Regisseurs Zoran Todorovich. Jule Dohrn-van Rossum baut ein japanisches Shoji-Haus, das aber nicht mit papierenen Wänden ausgestattet ist. Stattdessen mit unzähligen Leisten, an denen weiße Vorhänge befestigt sind: dünn genug, um das Geschehen hinter ihnen erahnen zu lassen, aber auch undurchsichtig, um „Wesentliches“ den Augen des Publikums zu entziehen.

Doch die wichtigste Funktion der Vorhänge in dieser Butterfly ist es, Bewegung in die Szenerie zu bringen. Und so werden die Gardinen unablässig auf- und zugezogen. Und das mal mit Bedeutung und mal völlig sinnfrei. Ansonsten kommt Todorovichs Butterfly eher statuarisch daher - Er gibt den Personen viel Freiraum. Das kommt der individuellen Gestaltung der Arien zugute. Leider lässt Todorovich die Arbeit an der Figurenkonstellation weitgehend außer acht. Er scheint voll auf die Wirkung der Musik zu vertrauen und modelliert keinerlei Beziehungsgeflecht heraus. Das trägt erheblich zur Spannungsarmut bei, die den ganzen Abend durchzieht.

Auch der Chor bleibt auf der Szene eher eine Randnotiz. Dabei leisten die Damen und Herren unter Francesco Damiani musikalisch Erhebliches: Präzise singend hauchen sie gerade der ansonsten eher drögen Hochzeitsfeier von Cio-Cio-San und Pinkerton so ein wenig pulsierendes Leben ein. Die kleineren Rollen besetzt das Landestheater vortrefflich - durch die Bank machen alle ihre Sache sehr gut.

Nando Zickgraf zeichnet den Goro als permanent quäkenden Störenfried. Das gelingt! Dieser Typ ist in höchstem Maße einfach nur nervig. Dorothee Bienerts Suzuki glänzt mit ganz warmen Tönen, die ihr Mitleid mit Cio-Cio-San verbindet mit einer großen Portion Wehmut. Souverän Andreas Jören als Sharpless. Es ist keine Frage: Diese Rolle liegt ihm einfach. Und so kann er den Zwiespalt vermitteln, der Sharpless umtreibt. Als einziger Amerikaner hat er eine Ahnung davon, welche Werte in der japanischen Lebenswelt eine Rolle spielen, und fühlt tiefes Mitleid. Andererseits ist er eben US-Amerikaner und durchdrungen vom Gedanken an die Überlegenheit seines Volkes. So schlägt er sich letztlich auf die Seite Pinkertons. Jören beglaubigt diesen Spagat mit jeder Faser seiner Stimme.

Hoppla, jetzt komme ich: Ji-Woon Kims Pinkerton strahlt in den Forte-Passagen unwiderstehliche Virilität aus. Ein Macho, wie er im Buche steht. Dem muss die zarte Madama Butterfly einfach erliegen. Doch leider fehlen Kim noch die zarten Seiten des Verführers: Ihm mangelt es an den Zwischentönen, die Gefühlsschattierungen stimmlich manifestieren. Das kann und wird sich sicher noch entwickeln.

Megan Marie Hart glänzt als Butterfly mit perfekten hohen Lagen, die sie nuancenreich zu gestalten weiß. Ein Pfund, mit dem sie zu recht wuchern kann. Muss sie jedoch in die tieferen Lagen wechseln, werden ihre Ausdrucksmöglichkeiten deutlich beschränkter, ihre Stimme bekommt einen fahlen Charakter. Dennoch kann sie die Seelenqualen der Butterfly glaubhaft ins Publikum tragen.

Das Symphonische Orchester Detmold muss mit seinem neuen Generalmusikdirektor Per-Otto Johansson noch zusammen wachsen. Es gibt in dieser Madama Butterfly brilliant-rauschhafte Momente gerade in den von Puccini komponierten großen Gefühlswallungen. Die werden jedoch von vielen - mehr oder weniger - kleinen Ungenauigkeiten getrübt. Das kann sich in den nächsten Vorstellungen schon ändern. Dann steht einer ungetrübten Zusammenarbeit mit dem „neuen Mann“ am Pult nichts mehr im Wege.

Das Premierenpublikum goutiert diese Inszenierung. Die kann man ohne großes Nachdenken reuelos konsumieren wie Gemüsesticks mit Kräuterquark - nur leider ohne Salz, Knoblauch und Sahne.