Collage auf Kunstrasen
Arno Schmidt spielte nach seinen eigenen Regeln mit der Sprache. Der 1979 verstorbene Schriftsteller nannte sein ausuferndes Monumentalwerk mit Bedacht „Zettel’s Traum“. Das ist bei ihm weder Deppen-Apostroph noch Sprachverhunzung, sondern eine Form künstlerischer Freiheit. Er fand den Duden steifleinen, war ein Freund der Meta-Grammatik und nutzte die Interpunktion so eigenwillig, wie es ihm beliebte.
Francis Hüsers, Intendant des Hagener Theaters, hat sich von Schmidt jetzt zu einem Musiktheater-Experiment mit dem Titel Zettels Traum inspirieren lassen – präsentiert auf der Studiobühne, im korrekten Genitiv. Das dürfte dem Haus entrüstete Reaktionen ersparen. Denn es geht Schmidts Riesenwerk wenig anders als dem „Ulysses“ von James Joyce: Kaum jemand hat es je gelesen.
Hüsers hat ein hübsches Produktiönchen gebastelt, das die albtraumhaften Geschichten von Edgar Allan Poe in eine künstlerische Form gießt. Die literarisch-musikalische Collage, von insgesamt zwölf Schauspielern, Sängern und Musikern innerhalb eines Kunstrasen-Karrees präsentiert, gleicht einer inszenierten Lesung mit Musik.
Das ist liebevoll gemacht, aber der große Titel liegt der kleinen Kreation bedeutungsschwer auf den Schultern. Hießen die Figuren nicht zufällig Paul, Wilma und Franziska Jacobi, bliebe der Bezug zu Schmidts Opus Magnum vage, obschon es sich ebenfalls intensiv mit Poe befasst. Abgefärbt haben die intellektuellen Verkrampfungen, die hier in Szene gesetzt werden und sich erst im Finale zur Jazzmusik von Pat Metheney lösen.
Es liegt am engagierten Spiel aller Beteiligten, dass die Trockenheit des Buchstabens überwunden wird. Der Bariton Kenneth Mattice (Daniel Pagenstecher) und die Sopranistin Elizabeth Pilon (Franziska) flirten zunächst zur Renaissancemusik von John Dowland. In den Blake-Vertonungen von Benjamin Britten und einem rhythmisch nachdrücklichen Lied von Michel van der Aa gewinnen beide stark an expressiver Kraft. Zudem kann Mattice in seiner Zweitrolle als Edgar Allan Poe dessen ausdrucksstarke Sprache im Original zelebrieren.
Ralf Grobel (Paul Jacobi) und Kristina Günther (Wilma Jacobi) geben dem Abend mit ihrer Schauspielkunst eine stabile Achse. Ein Sonderlob gebührt dem Schlagzeuger Volker Reichling, der den Klang eines Tamtams über einen langen Zeitraum anschwellen und wieder abschwellen lässt. Der Musiker setzt sich dafür im Schneidersitz vor den Gongständer: ein Bild zen-buddhistischer Beherrschung.
Seine stärksten Momente erreicht der Abend, wenn Poes Schreckensvisionen in der Musik eine Fortsetzung finden. Wenn vier Streicher in einem Quartett der Komponistin Clara Iannottas spukhafte Flageolett-Töne sirren und sausen lassen, scheint das todbringende Perpendikel aus der Erzählung „Grube und Pendel“ geradewegs durch den Raum zu schwingen. Ein finsteres Stimmungsbild, eindrucksvoll verdichtet.