Putzwagen und Gartenstühle
Irregeleitete Schritte, tastend Wege suchend, in ständiger Bewegung - so fasst Magdalena Fuchsberger das Leben des Orest auf und bricht das Dasein des Atridensprösslings herunter auf die Arbeit von Theaterschaffenden. Orest ist stets auf der Suche nach Vollendung, kann sie aber nicht erreichen. So geht es den Theaterleuten eben auch! Zum Musiktheater-Spielzeitauftakt gibt es im Theater Münster Ernst Kreneks Leben des Orest. Magdalena Fuchsberger versucht eben diese ständige Suche nach neuen Wegen und Möglichkeiten des Gestaltens auf die Bühne zu bringen.
Das geht in vielerlei Hinsicht schief. Weil es Fuchsberger und ihrem Team schlicht nicht gelingt, dem Publikum ihre Sicht auf den Orest unmittelbar zu vermitteln. Das rat- und planlose Herumschieben von Kulissenteilen kann sich einfach nicht ohne weitere deutliche Hinweise erschließen, ebenso wie das im Video präsentierte Herumirren des Orest im Theaterfoyer. Vor den Augen der Zuschauenden und Zuhörenden entfalten sich nur rätselhafte Puzzleteile, die niemand - selbst mit einem Blick ins Programmheft - zusammensetzen könnte. Das ist einfach kein bis ins Letzte entwickeltes Regiekonzept. Umso ärgerlicher, dass auch bei der Bühnengestaltung ganz tief in die Mottenkiste der Theatergeschichte gegriffen wird: Putzwagen und Monoblock-Stühle aus weißem Kunststoff als Bühnenbild-Elemente verbieten sich eigentlich von selbst ob ihres Verhaftetseins in viel zu vielen Inszenierungen, zumal sie im Regiekonzept eh‘ keine Rolle spielen.
Und dann muss die Frage gestellt werden, warum Ernst Kreneks Leben des Orest prädestiniert sein soll für ein Theater wie Münster, das am Beginn einer neuen Intendanz steht. Nun ist Kreneks „neoromantische“ Komposition gut hörbar, fordert die Ohren nicht wirklich. Teilweise würzt Krenek sie mit flotten Jazz-Elementen, was ein wenig Schwung bringt. Doch in weiten Teilen plätschert sie ohne große dramatische Höhepunkte dahin - rauscht quasi vorbei und hinterlässt keinen tiefen Eindruck. Das Sinfonieorchester unter Golo Berg lotet Kreneks Partitur tief aus und fördert deren Höhepunkte an die Oberfläche.
Anton Tremmels Chor ist stets hellwach und liefert brillante Präsenz, da wo sie gefordert wird. Ein Pluspunkt dieser Inszenierung! Verheißungsvoll präsentiert sich das neue Musiktheaterensemble. Anping Lu ist ein stimmlich biegsamer, wendiger Diener und Helena König eine, an ihrer Verantwortung schwer tragende Amme. Brad Cooper verkörpert einen Agamemnon, der noch an den Folgen des zehnjährigen Troja-Krieges leidet und deshalb stimmlich nur noch verhalten seine Machtansprüche vorträgt. Garrie Davislim ist ein echt fieser, schleimiger Ägisth - ein Intrigant par excellence. Katharina Sahmland elaboriert Trauer und Verlorenheit in berührender Weise, die ihr auch Ki Hoon Yoo als König des kalten Nordlands nicht nehmen kann. Robyn Allegra Parton verfügt als Tamar über eine große Palette stimmlicher Ausdrucksmöglichkeiten: Süß zwitschernd mit drohendem Unterton versucht sie ihren Vater gegen Iphigenie einzunehmen, dann wieder verwandeln sich die Rachegelüste in unschuldiges, fast reines Bekenntnis ihrer Liebe zu Orest. Wioletta Hebrowska ist eine tief gestörte Klytaemnestra - hin- und hergerissen zwischen Treue zur Familie und dem Wunsch nach Neuanfang mit Ägisth. Die Gebrochenheit vermag sie in ihre Stimme zu legen. Das ist natürlich nicht immer schön, aber sehr authentisch.
Margarita Vilsone ist eine in jeder Hinsicht faszinierende Elektra, die in ihrer flexiblen Stimme glühenden Willen zur Rache paart mit der Gewissheit, dass eben diese Rache zum Untergang ihrer Familie führen wird. In diesen Passagen gelingt es ihr, ihren Sopran ganz wunderbar zu verschatten.
Und Johan Hyunbong Choi als Orest? Ein Suchender ist er, sich nicht immer dessen gewiss, was er tut. Choi singt mit einem beweglichen, ebenmäßigen Bariton, der über viel Nuancenreichtum verfügt und fähig ist, seine Seele in die Kehle zu legen. Darstellerisch gibt es da sicher noch Luft nach oben.
Gewohnt souverän ist Gregor Dalal als Oberrichter, der die schwerwiegenden Folgen aus dem Urteil über Orest überaus gravitätisch präsentiert und auch aus seinen Zweifeln keinen Hehl macht.
Magdalena Fuchsberger entlässt ihr Publikum mit vielen Fragen, aber wenigen Antworten. Wenn das der Zweck ihrer Arbeit gewesen sein sollte, hat sie ihr Ziel erreicht, wenn auch um den Preis, ein gerüttelt‘ Maß an Langeweile evoziert zu haben.