Die folgenreiche Geburt der Venus
Es ist wie so oft im Leben: Heiter beginnt, was tragisch endet. Jacques Offenbach erzählt in Die schöne Helena einen Teil der Vorgeschichte zum Trojanischen Krieg - die Entführung Helenas aus Sparta durch den Trojanerprinzen Paris. Ganz in Offenbachs eigener Art haben die Liebenden dabei seine volle Sympathie und es kommt kein moralischer Zeigefinger zum Einsatz.
Den erhebt er - nie anklagend, eher leise spottend - beim Blick auf die spartanische Gesellschaft. Und das Personal kommt uns auch heute noch reichlich bekannt vor: Da gibt es unter anderem den herrisch Machtgierigen, den geistig nicht sehr Hellen, den bestechlichen Seher oder den dekadenten, reichen Erben.
Johannes Pölzgutter setzt in seiner Sicht auf die schöne Helena zwei Dreh- und Angelpunkte. Er führt Eris ein, die Göttin der Zwietracht, die nach Sparta gekommen ist, um dort Verwirrung zu stiften. Warum? Diese Frage lässt Pölzgutter unbeantwortet. Jedenfalls scheint die Dame nicht genug bekommen zu können, hatte sie doch gerade erst mit dem goldenen Apfel großen Unfrieden gestiftet. Jetzt also ist Sparta dran. Und Sandra Maria Germann mischt die eher träge Gesellschaft tüchtig auf. Wieselflink fegt sie im Frack wie ein Showmaster hin und her, schlüpft mal in die eine, dann in die andere Person und schon kommen die Dinge ins Rollen. Diese Eris bringt wahrhaftig „Leben in die Bude“!
Die zweite Konstante, die Pölzgutter, dieses Mal im Verbund mit Bühnenbildnerin Theresa Steiner setzt, ist Botticellis „Geburt der Venus“. Dieses Gemälde steht im Mittelpunkt der Bühne. Und es wird in seinen Komponenten immer wieder neu zusammengesetzt: Bis die Wellen im Finale sich in in ein Meer verwandeln, in den die Handelnden eintauchen können. Ein ganz toller Gedanke, denn das Bild der „schaumgeborenen Venus“ korrespondiert hervorragend mit der Flucht von Helena und Paris über‘s Meer (hier ganz zauberhaft durch eine schwebende Riesenmuschelschale ins Bild gesetzt). Dieses Gemälde symbolisiert aber gleichzeitig die Flüchtigkeit der Liebe, die wie die Schaumkronen der Wellen sich schnell auflöst.
Aber die „Geburt der Venus“ wird leider auch zum „Fluch“ dieser Inszenierung. Das Gemälde steht zementiert so im Mittelpunkt, dass viel Spielfläche verloren geht und den Figuren der Platz fehlt für darstellerische Entfaltung. Deshalb wird viel gestanden oder sich nur sehr eingeschränkt bewegt. Wäre da nicht die „wilde Hummel“ Eris gewesen, hätte das Ganze wirklich trist werden können. So gerät manch‘ hinreißendes Offenbach-Couplet szenisch zu einer Karnevals-Polonäse wie in dessen Geburtsstadt Köln. Da wäre ein Mehr an Einfallsreichtum durchaus wünschenswert gewesen.
Offenbachs Musik quillt auch in der Schönen Helena über vor Frechheit und Frivolität, überzeugt mit Witz und geradezu halsbrecherischen Arien, die Leichtigkeit und Spaß vermitteln. Warum aber muss auf Deutsch gesungen werden? Während Johannes Pölzgutters Fassung der gesprochenen Dialoge in ihrer Aktualisierung völlig überzeugt, wirken die deutschen Übersetzungen der gesungenen Passagen im besten Falle bemüht: Wenn etwa Helena die Vorzüge ihres Paris mit „L‘homme de la Pomme“ beschreibt, kommen allein lautmalerisch Bezüge zum Tragen, die Erotik und Anzüglichkeit implizieren. Diese fehlen in der deutschen Version völlig: „Der mit dem Apfel“ klingt nur sachlich beschreibend. Wenn also Übertitel genutzt werden, wäre es doch kein Problem, in der französischen Sprache zu singen.
Der halbe Hagener Opernchor ist bei der Premiere krank. Das übrig gebliebene „aufrechte Häuflein“ bemüht sich nach allen zur Verfügung stehenden Kräften, Volkes Stimme Gehör zur verleihen: Bravo! Nach Ablegen der Oberbekleidung sieht man: Die Superkräfte der angeblichen Helden bestehen aus falschen Muskeln wohin man auch schaut. Alles Fake! Gesanglich aber assistiert das gesamte Ensemble Helena und Paris auf das Beste.
Angela Davis ist eine Helena, die gesanglich schlicht über ihrer Rolle steht. Da sitzt jeder Ton und das weiß sie auch auszuspielen. Darstellerisch ist da allerdings noch Luft nach oben, denn so wirklich weiß sie die sexuelle Anziehungskraft, die Paris auf sie ausübt, nicht herüberzubringen.
Paris kommt in Gestalt von Anton Kuzenok als Sexprotz allererster Güte daher. Er meistert seine mörderische Partie tadellos und präsentiert sich als Objekt der Begierde, das sich dieser Stellung sehr bewusst ist.
Taepyeong Kwak leitet das Philharmonische Orchester Hagen. Er versteht es durchaus, die kleinen, feinen Delikatessen der Partitur Offenbachs herauszukitzeln. Was fehlt ist das Überbordende, Wilde. Das Orchester spielt da eher mit gebremstem Charme. „Gib‘ dem Affen Zucker“ scheint nicht gerade Kwaks Motto zu sein. Dem Premierenpublikum gefiel Die schöne Helena gut. Möge sie für das Theater Hagen zum Erfolg werden.