Irrungen und Wirrungen unter Baumwipfeln
Leicht zerstreute Besucherinnen und Besucher mögen sich an diesem ersten Weihnachtsabend zunächst gefragt haben, zu welchem Werk sich denn da soeben der Vorhang öffnete. Der dichte Forst legt Humperdincks Hänsel und Gretel nahe, doch ginge auch der heimische Teutoburger Wald samt weltgeschichtlichem Ereignis an, etwa mit Händels Arminio. Aber nein, es ist der Athenerwald. Auf dem Programm steht offenbar Shakespeares Sommernachtstraum. Zwar klingen Begleitmusik und Gesang eher nach Mozarts Entführung aus dem Serail. Macht aber nichts, die für das Shakespearestück bezeichnende restlose Verwirrung und Vertauschung der Empfindungen und Begehren ist deutlich am Tag, auch wenn die Figuren sich mit Konstanze, Blonde, Bassa Selim und Osmin anreden. Konstanze freilich neigt dem Bassa inzwischen heftiger zu als ihrem Verlobten Belmonte und Blonde fühlt sich von Osmin ebenso angezogen wie von Pedrillo.
Die Besprechung der Produktion ließe sich in diesem Stil fortsetzen, zumal Regisseurin Anna Bernreitner sich neben den ursprünglichen Textdichtern Christoph Friedrich Bretzner und Johann Gottlieb Stephanie d. J. als dritte Librettistin versucht und die Dialoge in Richtung auf Shakespeare umschreibt. Das misslingt in mindestens doppelter Hinsicht. Einerseits, weil Blonde und Pedrillo zum Singspielpersonal zählen und nicht die rhetorische Wendigkeit und Flexibilität der Komödienfiguren Shakespeares aufweisen. Zum anderen, weil keine der Figuren des „Sommernachtstraums“ die Tiefe der Empfindung Konstanzes bewährt.
Dennoch lässt sich nicht einfach ein Strich unter die szenische Seite der Produktion ziehen. Zwar gibt es kein Recht im Unrecht und vielleicht auch kein richtiges Leben im falschen, in den Künsten sieht das anders aus. Was Bernreitner richtig beobachtet und mitunter sehr feinsinnig und voller Gespür zeigt, sind junge Leute, die sich ihrer Gefühle nicht gar so sicher sind, wie sie den Partnern weismachen möchten. Kein Zweifel, in der Musik zur Entführung deutet sich bereits jene Ambivalenz der Empfindungen an, die sich in den Da-Ponte-Opern zunehmend Geltung verschaffen wird. Aber sie scheint eben nur auf, ohne ein Hauptzug zu werden. Geschweige, dass sie in Mord und Totschlag eskaliert. Bernreitner aber lässt Blonde den um sie kämpfenden Rivalen Pedrillo und Osmin ins Messer laufen und auf der Strecke bleiben.
Der Forst, den Eva-Maria van Acker als geheimnisvollen Schauplatz der Gefühlsverwirrung auf die Bühne pflanzt, bietet einen wie aus dem Teutoburger Wald abfotografierten Naturalismus auf. Solch‘ illusionistisches Theater freilich vermag die Vorgänge auf der Bühne nicht zu beglaubigen. Van Ackers Kostüme zeigen die Konfektion heutiger Mittelschicht.
Musikalisch werden zahlreiche Dimensionen des Werks ergründet. Alexander Kalajdzic heißt die Bielefelder Philharmoniker historisch informiert aufspielen. Kalajdzic wählt zügige Tempi und scheut nicht vor den knalligen Effekten der Janitscharenmusik. Schlagwerk und Bläser leisten Vorzügliches. Dimitra Kotidou ist Konstanze. Bei Veronika Lee sitzt Blonde der vokal wendige Schalk im Nacken. Mit ausgesprochenem Stilgefühl gibt Andrei Skliarenko den Belmonte. Für Pedrillo vermag Lorin Wey neben Buffoqualitäten auch stimmliche Attacke aufzubieten. Seinen Bass setzt Yoshiaki Kimura für die eher grobsinnlichen Wesenszüge Osmins ein. Nikolaj Alexander Brucker ist ein ebenso zu Depressionen neigender wie deklamatorisch vorzüglicher Bassa Selim.