Zwischen Himmel und Hölle
Als Alberto Franchetti im August 1942 im Alter von 81 Jahren im italienischen Viareggio starb, war sein als Stern als einer der führenden Komponisten seiner Zeit schon weitgehend untergegangen. Geleuchtet hatte dieser Ende der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts. Asrael war seine erste Oper, 1888 uraufgeführt im Teatro Municipale in Reggio Emilia. Ein großartiger Erfolg, dem sich bereits kurz danach Aufführungen in weiteren großen europäischen, selbst nord- und südamerikanischen Opernhäusern anschlossen. Sogar Gustav Mahler dirigierte Asrael in Budapest! Und Franchetti zählte fortan zu jenen Talenten, denen man - wie Leoncavallo, Mascagni und Puccini - die Weiterentwicklung der italienischen Oper in der Nachfolge von Giuseppe Verdi zutraute.
Franchettis Asrael fiel dann Mitte der 1920er Jahre dem Vergessen anheim, das weitere Oeuvre des jüdischen Komponisten verschwand von den Spielplänen. Nun holte das Theater Bonn in seiner Reihe „Fokus '33“ (eine höchst verdienstvolle „Forschungsreise zu den Ursachen von Verschwinden und Verbleiben“) diese rund dreistündige „Leggenda in quattro atti“ wieder ans Tageslicht. Eine Legende, die von Asrael und Nefta erzählt - eine ziemlich krude Geschichte.
Asrael ist ein verstoßener Engel, der sich in der Hölle den Heerscharen Luzifers anschließt. Aber er wird dort nicht glücklich, will lieber auf die Erde, um sich in einem menschlichen Leben zu beweisen. Dieser Plan wird ihm erlaubt mit der Maßgabe, binnen eines Jahres eine reine menschliche Seele zur Sünde zu verführen. Und dann ist da Nefta, die im Himmel weilt, wo sie Asraels Geliebte war. Ohne ihn findet sie keine Ruhe. Auch sie will sich unter Menschen begeben, um deren Schmerzen und Gefühlswelten verstehen zu lernen. Vor allem natürlich geht es ihr um Asrael, darum, ihn zu suchen und in den Himmel zurückzubringen. Auch Nefta darf mit Erlaubnis der Gottesmutter Maria hinab auf die Erde, allerdings ohne ihre Identität zu offenbaren. Wohin die Reise der beiden Protagonisten geht, ist damit klar!
Im Reich der Menschen begegnet Asrael der Königstochter Lidoria, die geschworen hat, jeden Freier abzulehnen, der ihrem Blick nicht standhält. Asrael schafft genau dies, lehnt eine Verbindung mit Lidoria aber ab. Und dann kommt auch noch Loretta ins Spiel, eine Seelenverwandte von Georges Bizets Carmen. Mit ihr geht Asrael eine Liebesbeziehung ein, doch bleibt eine unerfüllte Sehnsucht in ihm. Die wird erst gestillt, als er seiner Nefta in Gestalt einer Nonne begegnet. Die bietet sich ihm als Opfer für Luzifer an, fordert ihn zugleich aber zu einem aufrichtigen Gebet auf. Als er das zustande bringt, sind beide erlöst und steigen auf gen Himmel.
Wie gesagt: die „Handlung“ ist reichlich krude, zumal sich zwischen Anfang und Ende noch diverse Nebenaktivitäten abspielen, deren Beschreibung deutlich zu weit führen würden. Was die Bonner Wiederbelebung von Asrael angeht, so zeigt Regisseur Christopher Alden kein religiöses Spiel, er setzt das Stück eher als Familiendrama um, verlegt es in die Zeit des Ersten Weltkriegs in einen großbürgerlichen Palast, in dem ein längst pensionierter General heroischen Zeiten nachsinnt, genüsslich seine alte Waffe putzt und Frau und Kinder ziemlich brutal züchtigt. Nicht ohne Konsequenzen: die Frau nimmt sich schon bald den Strick! Und statt Hölle gibt es den Keller dieses Hauses, Asraels Lebensumfeld. Den Himmel dagegen repräsentiert das Dachgeschoss dieses mondänen Anwesens. Zwischen beiden Geschossen dann ein ausladender Saal: die reale Welt, irdisches Terrain, auf dem Asrael und Nefta sich begegnen. Optisch macht Charles Edwards Bühnenbild jede Menge her.
Die Handlung, die Ferdinando Fontana in die Form eines Librettos gebracht hat, ist im Grunde auch gar nicht so wichtig, als dass man ihr minutiös folgen müsste. Im Zentrum steht ganz klar die Musik, Franchettis sehr persönliche Melange aus italienischem Verismo, französischer Grand Opèra und - vor allem - Wagner-Einflüssen. Franchetti wusste, wie aus diesen Zutaten eine Oper geht, in der die Solisten mit großen Melodien punkten können, in der aber auch der Chor eine wichtige Rolle spielt und nicht zuletzt das Orchester in üppigsten Farben leuchtet. All dies kann man in Bonn vortrefflich bewundern.
Pavel Kudinov ist Lucifero, abgrundtief in seiner Boshaftigkeit. Tamara Gura gibt eine Lidoria, die in tiefsten Lagen höchste Liebesglut auszudrücken vermag. Das gilt auch für Khatuna Mikaberidze als Loretta. Bei ihr schwingt aber auch eine profunde Leichtigkeit mit, die Liebe auch als schwebendes Gefühl ohne Ansprüche interpretiert. Svetlana Kaysan wirkt als Nefta als ein überaus reines Geschöpf mit fließendem Sopran. Da ist kein Moment, der den Eindruck der Makellosigkeit trübt. Peter Auty als Asrael ist in der besuchten Vorstellung ein wenig indisponiert. Das hört man. Aber vielleicht gibt das ja gerade den Kick, um den widersprüchlichen Charakter seiner Rolle noch mehr zu betonen.
Chor und Extrachor des Theaters Bonn, von Marco Medved perfekt vorbereitet, sind im 1. Rang postiert. Von dort aus kommt dem Ensemble eine große, die Handlung kommentierende Funktion zu - quasi aus dem „Off“. Hermes Helfricht führt das Beethoven-Orchester Bonn mit absoluter Präzision und gibt seiner Lust auf schwelgerisch romantische Töne freien Lauf.
Unbedingt lesenswert: das über 200 Seiten starke Programmbuch mit wichtigen, ja wertvollen Beiträgen, die Franchetti, seine Zeit und seine Wirkung beleuchten.