“Ein Maskenball” – wieder große Oper in Bonn
Nach den Niederungen in der Corona – Pandemie musste in Bonn wieder eine große Oper her. Der Intendant Dr. Bernhard Helmich setzte sich mit seinem Dramaturgen Andreas K.W. Meyer zusammen, sie dachten angestrengt darüber nach, was denn im Hause alles so vorhanden wäre. Natürlich sollte es wieder eine Verdi-Oper sein, natürlich unter dem Bonner Verdi-Dauer-Dirigenten Will Humburg. Auch einen passenden Regisseur gab es, den Engländer Sir David Poutney, der zusammen mit seinem Bühnenbildner Raimund Bauer bereits 2019 Verdis Sizilianische Vesper sehr erfolgreich präsentiert hatte.
Beide Herren waren verfügbar, der Regisseur brachte mit Raimund Bauer erneut seinen eigenen Bühnenbildner mit. Das Beethovenorchester stand ohnehin parat, ebenso das ausgezeichnete Ensemble mit festen Verträgen. Und der Blick in die Requisitenkammer fiel auf zwei hohe Sitzgelegenheiten, ähnlich wie für einen Tennis-Schiedsrichter. Und auf hohe verschiebbare Möbel, dieals Raumteiler fungieren konnten. Alles gut brauchbar für die nächste Produktion.
Aber Spaß beiseite. Die Oper Bonn hat hier wieder Großes geleistet, vornehmlich auf dem musikalischen Teil. Wohin gegen der szenische Teil und auch die Kostüme ein wenig Stirnrunzeln verursachten, abzulesen auch an den Buhs für das Produktions-Team beim Schlussapplaus.
Verdi nahm gern Schauspiele zur Grundlage seiner Opern. Im Fall des Maskenballs sogar ein unveröffentlichtes: Der schwedische König Gustav III als großer Kulturliebhaber hatte jedoch den Sinn für die Realität verloren. So kam es 1792 zum Königsmord während eines Maskenballs. Der Dramatiker Eugène Scribe hatte daraus ein Stück verfasst, das aber so nie aufgeführt werden durfte. Daher hatte Verdis Librettist Antonio Somma die Handlung nach Amerika verlegt, hier tritt der König als Riccardo, Gouverneur von Boston auf. Genügend weit weg für die empfindsamen Seelen der Zensur.
Dafür beginnt es in Bonn etwas gruselig – oder auch lustig. Denn nach der Ouvertüre bei geschlossenem Vorhang imponiert ein aufgebahrter Sarg mit einem Menschen obendrauf. Der ist aber mitnichten tot, sondern der quicklebendige Page Oskar im Michael-Jackson-Look. Auch die „Leiche“ Riccardo schiebt erst ein Händchen aus dem Sarg, später dann mehr, und bleibt gemütlich drin sitzen, um die Vorkommnisse auf der Bühne zu betrachten. Das ist schon eine grenzwertige Parodie auf die Gothic-Szene.
Man muss erstmal verstehen: Der Regisseur hat hier ein „Theater im Theater“ auf die Bühne gebracht, Riccardo hat offensichtlich seine eigene Geschichte inszeniert. Denn er läuft immer mit einem kleinen roten Büchlein umher und liest offensichtlich Regieanweisungen. Der Besuch bei der Wahrsagerin Ulrica (auf dem hohen Stuhl wie später die beiden Verschwörer) offenbart ihm die Zukunft. Sein späterer Mörder wird derjenige sein, dem er als erster die Hand schüttelt. Trotzig begrüßt er seinen besten Freund Renato und glaubt, der Voraussage entkommen zu sein.
Renato ist verheiratet mit Amelia, die von Ricardo heimlich geliebt wird. Schon eine interessante, aber häufige Konstruktion, die oft aus dem Ruder läuft wie hier. Denn Renato plant, seine untreue Frau zu ermorden, entscheidet sich aber, dafür ihren Liebhaber zu erstechen. Das passiert dann auf dem titelgebendem Maskenball, bei dem alle Gäste als Gerippe auftreten (Kostüme von Marie-Jeanne Lecca).
Sängerisch war in Bonn Großartiges zu goutieren, allen voran ist Yannik-Muriel Noah zu nennen, deren samtige, aber dennoch gewaltige Stimme voll zu Herzen ging. Sie ist als Ensemble-Mitglied ein echter Glücksfall für die Bonner Oper. Arthur Espiritu sang den Riccardo mit strahlendem Tenor; anfängliche Unsauberkeiten verschwanden schnell. Giorgos Kanaris, auch einer der festen Bonner Größen, er gefällt in seiner Rolle als Renato durch die Bank ganz ausgezeichnet mit seinem runden, volltönenden Bariton.
Ulrika ist Nana Dzidziguri mit sehr hellem Sopran und dennoch dunkler tiefer Lage, passend zu ihrem Job als Wahrsagerin. Ein Kracher ist Lada Bockova in der Hosenrolle als Page, sowohl stimmlich wie auch im szenischen Ausdruck. Carl Rumstadt, Andrei Nicorara, Martin Tzonev, Tae Hwan Yun und Justo Rodriguez bewähren sich bestens in den kleineren Rollen.
Aber was wäre die Oper ohne den Verdi-Spezialisten Will Humburg, der mit seinem großflächigen Dirigat nicht nur die Musik und das ausgezeichnete Beethoven-Orchester zum Leuchten bringt, sondern sie auch bestens mit der Bühne synchronisiert. Bravo !
Die Personenführung auf der Bühne ließ allerdings zu wünschen übrig, das so genannte „ Rampensingen“ herrschte vor; was allerdings viel bewegt wurde, waren die veschiebbaren Bühnenteile und die Hochstühle. Auch der Opernchor (Einstudierung von Marco Medved) sang ganz hervorragend; allerdings waren die Tänze, vor allem die der Matrosen und dazu noch im Ringelkostüm, eher weniger passend; der Karneval aus der Nachbarstadt ließ grüßen. Und warum Riccardo am Schluss erneut in den Sarg steigt und der Page sich wieder drauflegt, erschloss sich nicht wirklich. Aber hübsch anzusehen war es allemal. Nur fragt sich der kritische Opernbesucher dann zu Recht, wer denn da erstochen wurde. Der Schlussapplaus des ausverkaufen Hauses war riesig, die Missfallens-Kundgebungen hingegen deutlich zu vernehmen.