Einfach traumhaft
Die Bilder, die Michael Schulz und sein Regieteam für Leoš Janáceks Das schlaue Füchslein finden, sprechen quasi für sich: Sind Menschen und Tiere nicht unerbittlich dem Kreislauf der Natur ausgeliefert? Während sich die einen dagegen stemmen und versuchen, die Natur zu beherrschen, passen sich die anderen an, versuchen im Einklang mit ihr zu leben.
Eine große goldene Tür erscheint auf der Bühne des Musiktheaters im Revier, ist Eingang in das Universum, in Janáceks Welt, in der er uns das Wesen des immerwährenden Entstehens und Vergehens des Lebens näher bringt. Wir sehen einen Wald mit teils naturalistisch, teils stilisierten Bäumen. Dort tummeln sich allerlei Geschöpfe: Igel, Schnecke, Käfer, ein Grashüpfer und auch ein Frosch. Sie leben in Eintracht miteinander und sind doch Teil der Nahrungskette, die das Leben im Wald bestimmt.
Hier begegnet der Förster dem Fuchswelpen Schlaukopf, den er mit nach Hause nimmt. Doch alle Versuche der Domestizierung scheitern. Die Füchsin stachelt die Haustiere zu einer Revolution auf. Als das misslingt, wütet sie im Hühnerstall, tötet alle Hennen samt des wundervoll ausstaffierten Hahns und flieht in den Wald. Die Natur ist vom Menschen eben nur bedingt beherrschbar. Im Wald erleben wir dann eine ganz andere Füchsin. Die hat sich in der Freiheit zu einem begehrenswerten Wesen gewandelt, die in seidigem Outfit eine wunderbare Liebesszene mit dem Fuchs hinlegt. Der wird von Martina Feldmann, die mit perfekten Kostümen eine unglaublich packende Mischung aus märchenhaften Fantasiewelten und nüchterner Realität schafft, in einen rötlich schimmernden Anzug gesteckt. So ist er mit seiner kecken roten Haartolle ein Verführer par excellence. Regisseur Schulz erläutert aber auch in dieser Szene die Wildheit und Unberechenbarkeit der Natur. Als Brautgeschenk bringt der Fuchs seiner Angebeteten ein Kaninchen. Das verzehrt sie und verströmt alle Liebesgeständnisse mit blutigen Lippen.
Doch diese Liebesgeständnisse stoßen auf Erwiderung und enden in einer symbolreichen Liebesszene in einer Sonnenblumenblüte. Dies unterscheidet sie von der Menschenwelt: Dort wird viel von Liebe geredet, aber sie bleibt ein Ideal ohne Berührung mit der Realität. Alle Männer, die sich in der Gastwirtschaft begegnen, sind einfach nur einsam und allein. Der Pfarrer, der auf seine Abberufung wartet, der verklemmte Lehrer und der Wilderer Haraschta, der von einer Ehe mit Terynka träumt - einer Frau, die ebenso unsichtbar bleibt wie für Haratscha unerreichbar. Und selbst den Förster zieht es nur nach Hause wegen seines alten Dackels. Schulz und sein Team malen diese absolute Tristesse in einer Umgebung, die eher an eine funktionale, öde Kantine gemahnt als an eine gemütliche Dorfkneipe.
Einen versöhnlichen Moment gibt es dennoch. Der Förster erkennt das Wesen des ewigen Werdens und Vergehens und versöhnt sich mit seinem Leben.
Ein großartig Ensemble bringt das Gelsenkirchener Opernhaus auf die Bühne. Das sang tschechisch und schuf so ob der engen Verwobenheit von Text und Musik eine der Grundlagen für den Erfolg dieser Produktion. Angefangen vom Opernkinderchor der Chorakademie Dortmund und dem Opernchor Alexander Eberles tragen alle Akteur*innen zum Gelingen dieser Produktion bei. Anke Sieloff, Bogil Kim, Elena So und Scarlett Pulwey gestalten die kleinen Rollen liebevoll und detailreich.
Yancheng Chen ist ein verzweifelter, durch seine Liebe unberechenbarer Haraschta. Philipp Kranjc und Adam Temple-Smith legen in ihrer Rollen als Pfarrer und Schulmeister die maximale Frustration. Khanyiso Gwenxane ist ein ganz wunderbarer Dackel. Er ist alt, hängt als echtes Haustier an seinem Herrn und sehnt sich doch nach wenig mehr an Freiheit. Gwenxane bringt all‘ diese Widersprüche intensiv zum Klingen. Lina Hoffmann ist unwiderstehlich als Fuchs. Sie offenbart alle Liebhaberqualitäten - gurrt wie eine Taube und schmeichelt mit Schmelz und goldenem Klang.
Bele Kumberger überzeugt als Füchsin Schlaukopf in jeder Minute. Überzeugend ist ihre Wandlung von halbwilden, struppigen Welpen zur selbstbestimmt lebenden Erwachsenen. Beide Seiten kann Kumberger stimmlich beglaubigen. Johannes Martin Kränzle als Förster ist eine wahre „Rampensau“. Er ist stets präsent, verkörpert absolute Einsamkeit und das Nachdenken über das Wesen der Natur gleichermaßen mit berückender Intensität.
Rasmus Baumann und der Neuen Philharmonie Westfalen gelingt es auf‘s Feinste, die Farbigkeit und auch die innehaltenden Momente der Partitur bis in die kleinsten Nuancen herauszuarbeiten. Auch die wenigen eruptiven Passagen gelingen hervorragend.
Michael Schulz, sein Regieteam und alle Menschen auf und hinter der Bühne schaffen einen unvergesslichen Opernabend, der die Qualitäten des Musiktheaters herausstellt - oder wie es eine Besucherin am Ende ausdrückt: „Einfach geil!“ Damit ist eigentlich alles gesagt.