Übrigens …

La fanciulla del West im Theater Hagen

Das Mädchen unter lauter Männern

Es ist immer wieder erstaunlich, mit welch einem Mut und Selbstbewusstsein sich das Theater Hagen an Projekte wagt, die für ein mittelgroßes Haus ungewöhnlich sind - und dies schon seit vielen Jahren. Giacomo Puccinis La fanciulla del West das jüngste solcher Projekte. Es beweist mal wieder, dass ein hoch motiviertes Ensemble vor, auf und hinter der Bühne an den Aufgaben wächst, die es sich stellt. Denn La fanciulla zeitigt enormen personellen Aufwand in allen Bereichen, vor allem im Hinblick auf die vokale Seite der Oper: drei große und nicht weniger als zwölf mittlere und kleinere Partien sind zu besetzen, ein großer Chor ist erforderlich. In Hagen gelingt das ganz hervorragend.

Die Geschichte dreht sich um kalifornische Goldgräber Mitte des 19. Jahrhunderts. Eine Männergesellschaft, in der Minnie, die Kneipenwirtin, die einzige Frau ist. Resolut, mit klaren Ansagen an die Männer - aber auch sensibel, zerbrechlich, liebesbedürftig. Ein ganz spezielles Biotop sozusagen. Regisseur Holger Potocki richtet den Fokus auf diese menschlichen Aspekte inmitten einer trostlosen, von harter Arbeit und Entbehrung geprägten Umgebung. Trostlosigkeit spricht auch aus der Einheitsbühne, die Lena Brexendorff als morastige Scholle anlegt, auf der bei Wind und Wetter nach Gold geschürft wird. Kartenspielen und rauschende Trinkgelage sind da die einzigen Vergnügungen der Männer fernab ihrer Heimat und ihrer Familien.

Für Minnie taucht ein Silberstreif am Horizont auf, ein Lichtblick. Es ist ein fremder Ankömmling, der sich als Dick Johnson ausgibt und in den sie sich augenblicklich verliebt. Und sie bleibt es, auch nachdem er als der gesuchte Räuber Ramerrez entlarvt und beinahe gehenkt wird. Jack Rance, der Sheriff, hat das Nachsehen: seine rohe Liebe zu Minnie wird von ihr nicht erwidert. Aus dieser Konstellation macht Puccini im 2. Akt eine großartige Szene. Holger Potocki konzentriert sich dabei ganz auf die spannungsgeladenen Gefühle dieser drei Personen. Und die Musik, die Joseph Trafton mit dem Philharmonischen Orchester Hagen dazu beisteuert, entwickelt in diesen Momenten geradezu soghafte Wirkung, der man sich schlicht nicht entziehen kann. Auch nicht den ganz poesievollen, intimen und mit feinen Orchestertönen nachgezeichneten Augenblicken. Das klingt schon sehr, sehr berührend!

Beeindruckend ist Susanne Serfling, die als Minnie ihr Rollendebüt gibt, Insu Hwang als fieser, machohafter Sheriff und Angelos Samartzis als der räuberische Fremdling mit prachtvollem, kräftigem Tenor - ein Trio, das seine emotionalen Grenzen ausreizt, ohne sie zu überschreiten. Der Chor samt Extrachor und Statisterie leistet grandiose Arbeit ebenso wie die vielen ausgezeichnet singenden und spielenden Solisten in den kleineren Rollen.

Puccini hielt seine Fanciulla für das Beste, was er an Oper geschrieben hat. Die Hagener Inszenierung macht dieses Urteil plausibel.