Übrigens …

Don Pasquale im Gelsenkirchen, Musiktheater im Revier

Zwei zu Null für Doktor Malatesta

Ein schick-modernes Zimmer mit gläserner Bar, einem großen Sofa und einem Mondrian-ähnlichem Gemälde an der Wand. Daneben das Wohnzimmer einer WG in schlichtem IKEA-Stil, mit Kaffeebechern, die an Haken hängen - aber zeitgemäß auch mit Beamer und Leinwand. Auf der läuft eine Stummfilm-Schnulze, die von großer Liebe kündet.

Hier wohnt der alte Don Pasquale, dort sein Neffe und Erbe Ernesto mit seine Flamme Norina. Ivan Ivanov hat damit eine perfekte Bühne entworfen für eine Boulevardkomödie de luxe: Es gibt genügend Möglichkeiten zum Auf-und Abgang für die Figuren. Das Durcheinander kann beginnen. Und so erzählt Zsófia Geréb auch mit leichter Hand die Geschichte vom alten Mann Pasquale, der nochmal heiraten will und seinen Neffen enterben. Stattdessen bekommt er als Braut die Geliebte dieses Neffen serviert, die sich blitzschnell von der lammfrommen Unschuld ins Biest mit Krallen und einem stahlharten Willen verwandelt. Norina wird zur Schwester des Strippenziehers Malatesta und stellt Pasquales Wohnung auf den Kopf, während Ernesto süffisant grinsend dabei steht. Denn er weiß längst, dass er als Sieger aus dem Kampf um Norina hervorgehen wird.

Zu viele Namen? Zu verwirrend das Ganze? Genauso soll es sein in einem richtigen Boulevardstück: Die Handlungsstränge verschmelzen und dann weiß irgendwie auf einmal niemand mehr, wer mit wem, wann und wieso. Am Ende werden die Fäden entwirrt und es gibt ein umfassendes Happy-End. Kommt man als Zuschauer*in auch manchmal - von der Regie gewollt - bisweilen ins Schwimmen, behält Zsófia Geréb stets den Überblick und besticht vor allem durch perfekte Personenführung, die im ganzen Intrigen-Chaos durch Klarheit und Ausdruckskraft besticht. Hebebühne und Verschiebung des Bühnenbildes sorgen für ständig neue visuelle Reize. Das ist sehr apart!

Dabei kann sie sich auf ein Ensemble verlassen, das vibrierende Spielfreude verströmt und geradezu lustvoll agiert: Beginnend mit Alexander Eberles Chor, der nicht nur gut singt, sondern auch voll Elan und gegen Proteste gefeit, in Pasquales Wohnung das Unterste nach Oben kehrt. Yancheng Chen als vermeintlicher Notar wirft unentwegt lüsterne Blicke auf Norina, während er die Scheinhochzeit vollzieht und wirklich schöne Töne zum Besten gibt.

Khanyiso Gwenxane ist ein schlitzohriger Ernesto, der mit süffisantem Lächeln sich das Intrigenspiel anschaut und weiß, dass er der Gewinner sein wird. Herzallerliebst zart-schmelzend und leuchtend liebend singt er. Und dennoch bleibt er ein Filou, von dem niemand weiß, ob er wirklich die Frau möchte oder doch zu allererst das Vermögen des Onkels.

Petro Ostapenko steuert als Gehirn aller Intrigen das Geschehen auf der Bühne ganz lässig-locker. Meist irgendwo anlehnend, betrachtet er das von ihm initiierte Treiben zurückgenommen und über den Dingen stehend. Genauso biegsam wie sein Handeln ist auch seine überaus bewegliche Stimme, die im großen Duett mit Don Pasquale zur Höchstform aufläuft.

Dongmin Lee als Norina führt genial aus, was Malatesta sich erdacht hat: Behende zwitschernd ist sie als scheinbar gerade aus dem Kloster kommend die wahre „Unschuld von Lande“. Aber sie kann auch ganz anders. Mit stahlharten Tönen triebt sie Don Pasquale in immer tiefere Seelennöte. Da ist sie gnadenlos und lässt doch bisweilen leise und verstohlen Mitleid anklingen. Lee vermag ein breites Spektrum von Stimmungslagen zum Klingen zu bringen.

Urban Malmberg in der Titelrolle erweist sich als absoluter Glücksfall für diese Inszenierung: Er ist der geborene Sängerdarsteller, der seine Qualen nicht nur perfekt stimmlich, sondern auch mit mimischer und gestischer Vielfalt zu beglaubigen weiß. Eine wirklich hervorragende Leistung, die den Abend tragend gestaltet.

Giuliano Betta und die Neue Philharmonie Westfalen halten die Spannungskurve den ganzen Abend über sehr hoch. Betta treibt sein Orchester durch Donizettis dichte Partitur. Im ersten Teil scheint die Koordination zwischen Bühne und Graben noch nicht ganz zu funktionieren, denn die Sänger*innen werden oft vom Orchester zugedeckt. Das ändert sich nach der Pause.

Dieser Don Pasquale ist ein überaus entspannender Abend. Da ist es fast schade, dass man nicht auch während der Vorstellung ein prickelndes Getränk genießen kann.