Männer hinter Masken
Die Herren des Openchores halten Masken ihrer lächelnden Gesichter vor sich. Doch dahinter sieht es absolut finster aus - brüten sie doch über Intrigen, die von Rachegelüsten genährt werden. In Cordula Däupers Rigoletto ist in der Welt am Hofe des Herzogs von Mantua nichts echt. Schöner Schein überdeckt Missgunst, Hass. Aufwendige Kostümierung erlaubt steten Rollenwechsel. So verwandelt sich der Herzog an einem Schminktisch in einen ebenso leichtfüßigen Verführer wie in den Anführer einer gnadenlosen Clique, für die nur ihr eigenes Vergnügen im Fokus steht. Um dieses auszuleben, ist sie bereit, auch über Leichen zu gehen. Friedrich Eggerts Bühne und Sophie du Vinages Kostüme symbolisieren den steten Wechsel zwischen Sein und Schein, indem sie an C.M. Escher erinnernde Motive aufgreifen, dessen scheinbar logische Werke, Treppen und Stufen, sich letztlich als nicht gangbar erweisen und sich in der Unendlichkeit verlieren.
Kontrastiv dazu entwickelt Däuper zwei Gegenwelten. Da ist zum einen die Umgebung, in der Rigolettos Tochter Gilda aufwächst. Trotz ihrer Abgeschiedenheit, die Rigoletto für sie gewählt hat, erwacht in Gilda die Liebe zum Herzog. Kraft derer emanzipiert sie sich auch vom Vater, entwickelt eine eigene Persönlichkeit. Schließlich ist sie bereit, für ihre Liebe zu sterben.
In krassem Gegensatz dazu steht die Welt von Sparafucile und seiner Schwester Maddalena, die aber auf ihre Art und Weise genauso wahrhaftig ist: Beide sind abgewrackt und drogenabhängig. Für den nächsten Schuss sind sie bereit, auch die schmutzigste Arbeit zu tun - inklusive Auftragsmord!
Wanderer zwischen diesen Welten ist Rigoletto. Mittäter in der höfischen Welt und zugleich deren Opfer ist er auch liebender Vater und Racheengel, der den Mordauftrag am Herzog gibt. Doch wie er es auch wenden mag, letztlich ist er immer der Betrogene. Seine Verfassung lässt sich an umgeschminkten Lippen stets ablesen. Er vermag sich auch anzupassen. So verwandeln sich etwa die Federn seines Clownkostüms im Gespräch mit Sparafucile in einen veritablen Irokesenschnitt. Däuper schafft sehr klare Bilder. Deren Überdeutlichkeit lässt bisweilen eine gewisse Raffinesse vermissen, führt aber ihr Publikum sicher bis zum Ende durch die Oper.
Allererste Sahne ist der Chor Anton Tremmels. So stimmgewaltig, so sicher und darstellerisch voll auf der Höhe hat man ihn selten erlebt - ein großes Kompliment! Alle kleinen Rollen - besetzt mit Mitgliedern des Chores und des Opernstudios - machen ihre Sache großartig.
Gregor Dalal lässt als Monterone tief und intensiv mahnende Töne auf die zügellose Hofgesellschaft niederprasseln. Wioletta Hebrowskas Maddalena berührt durch ihr Mitleid mit dem Herzog als potenziellem Mordopfer, das sie trotz ihrer Sehnsucht nach den nächsten Schuss zu empfinden in der Lage ist. Ki Hoon Yoo ist am Ende seiner Kräfte, will nur noch Geld verdienen. Sein Sparafucile ist gekennzeichnet durch Mattigkeit. Er ist völlig am Ende. Doch etwas mehr an Kraft und Ausstrahlung könnte Yoo doch entwickeln.
Garrie Davislim ist ein Verführer wie er im Buche steht. Kraftvoll und fast atemlos geradeaus singt er den Herzog von Mantua - ein absoluter Macher. Da bleibt für die Ausbreitung von Feinheiten, die Entwicklung von Zwischentönen kein Raum, aber Davislim beglaubigt dieses Rollenprofil mit manifester Überzeugungskraft.
Johan Hyunbong Choi verfügt über einen weichen, farbenreichen Bariton. Mit diesem zeichnet er die Titelfigur sehr vielschichtig, bewegt sich federnd auf höfischem Parkett, ist ein wundervoller, weich-zärtlich liebender Vater und ein furchtbar von Rache durchdrungener Todbringender. Allein darstellerisch könnte Choi noch „eine Schippe drauflegen“. Er wirkt bisweilen etwas verhalten und gehemmt.
Robyn Allegra Parton ist eine durchweg fantastische Gilda. Mit zugleich sanftem wie eindringlich beharrendem Sopran zeichnet sie das Bild einer Frau, die sich durch die Liebe von ihrem bisherigen Dasein emanzipiert und sich aus jedweder Fremdbestimmtheit löst. Am Ende schwebt sie mit blutgetränkten Engelsflügen gen Himmel. Das gehört zu den stärksten Momenten dieser Inszenierung.
Henning Ehlert und das Sinfonieorchester Münster schlagen durchaus Funken aus dem Rigoletto. Doch führt Ehlerts Detailverliebtheit bisweilen dazu, dass Drang und Furor, mit denen Verdi seine Partitur ausstattet, nicht immer zur Geltung kommen und direkt in die Nervenbahnen übergehen. Das Premierenpublikum spendet viel und ausdauernden Beifall.