Cabaret im Theater Krefeld

Eruptiv

Mit Cabaret landet das Zweistädteinstitut zunächst im Krefelder Haus einen für permanent ausverkaufte Vorstellungen sorgenden Erfolg, der sich zwar einerseits aus der Popularität des Werks erklärt, andererseits aber damit, dass man sich am Niederrhein eben nicht mit den Selbstläuferqualitäten des Musicals begnügt. Die Krefelder liefern keine Konfektionsware, sie setzen im Gegenteil höchst eigene Akzente. Dabei gehen sie durchaus Wagnisse ein. Denn die Zoten sind weidlich ausgespielt und die Choreografie riskiert, über eher dezente Andeutungen weit hinauszugehen. Kerstin Ried reizt mit ihren Tänzerinnen und Tänzern alles an Laszivität und Eindeutigkeit an einem Stadttheater überhaupt Denkbare aus. Das dürfte ziemlich genau dem entsprechen, was im Kit Kat Klub gegen Ende der zwanziger und zu Beginn der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts an Dreistem und Deftigem tatsächlich abgegangen ist. Regisseur Frank Matthus präsentiert den vermeintlich politikfreien Raum des Etablissements als ebenso anfällig für die Parolen der braunen Bande wie viele andere Lebensbereiche. Frivolität und Obszönität der Halbwelt hindern Beschäftigte und Gäste nicht daran, sich dem Nazimob anzuschließen. In ihrer Ignoranz der Zeitläufte, die sich weder von braunen Tiraden noch aber warnenden Stimmen beeindruckt zeigt, kommt Sally Bowles mit einer anfänglich bei aller Libertinage beinahe unschuldigen Naivität daher. Zunehmend aber zeigt sich darin jene Bindungs- und Verantwortungslosigkeit, die sie das längst braun durchtränkte Berliner Nachtleben der Beziehung zu Cliff Bradshaw vorziehen heißt. Unbarmherzig wie das selten der Fall ist, lässt Regisseur Matthus auch die Nebenhandlung ausspielen. Fräulein Schneider löst die Verlobung mit Herrn Schultz nicht nur hasenfüßig, wie das in den meisten Produktionen der Fall ist. Die Härte der Zimmervermieterin ist nicht allein den Zeitumständen geschuldet, sie entspricht einem Grundzug ihres Wesens. Der sich zudem in ihrer Forderung nach einem autoritären Staat ausspricht. Bühnen- und Kostümbildnerin Anne Weiler verschachtelt geschickt Kit Kat Klub und Schneidersche Wohnung. Die Türen zu den Zimmern für die möblierten Damen und Herren dienen auch den Auftritten für die Shownummern. Das Publikum des Etablissements nimmt in der nicht für die Band benötigten Hälfte des Orchestergrabens Platz. Denn gespielt wird die reduzierte Fassung von Chris Walker, deren Beschränkung auf Bläser, Perkussion und Klavier der Tingeltangel-Atmosphäre in ihrer Unmittelbarkeit weitaus eher entspricht als die Weichspülung durch Streichersound. Bei Jochen Kilian und seiner Band jedenfalls vermisst man ihn nicht einen Augenblick. Jannike Schubert ist eine sich unverwüstlich stark und vital gebende Sally Bowles. Vokal und darstellerisch verleiht Schubert der Figur packende Direktheit. Paul Steinbach gibt einen grundsympathischen Clifford Bradshaw. Ronny Tomiska verkörpert einen unter der Maske der Jovialität durchtriebenen Ernst Ludwig. Bruno Winzen ist die ideale Besetzung für den feinsinnigen und empathischen Herrn Schultz. Esther Keil findet den Mut, ein im Kern hartherziges Fräulein Schneider auf die Bühne zu bringen. Jenseits von Gut und Böse liefert Adrian Linke einen in seiner Bizarrerie kaum zu übertreffenden Conférencier der Extraklasse. Auch alle weiteren Ensemblemitglieder agieren aus einem Guss. In der nächsten Spielzeit wandert die Produktion nach Mönchengladbach.