Politische Konzertinstallation
Der Musiker, Komponist und Astrophysiker Bojan Vuletic, gemeinsam mit Christof Seeger-Zurmühlen Mit-Gründer und -Leiter des im Jahre 2012 ins Leben gerufenen Asphalt Festivals in Düsseldorf, bringt jedes Jahr im Rahmen seines Festivals eine neue Komposition zur Uraufführung - zeitgenössische E-Musik, eine Art Konzeptkunst, nicht immer leicht zugänglich, meist rätselhaft, aber faszinierend. Mal schreibt er eine Musik zu Werken der Bildenden Kunst, mal zur Literatur (ohne dass sprachlich auf das literarische Werk zurückgegriffen wird) - und immer engagiert der bestens vernetzte Vuletic für seine Uraufführungen herausragende Künstlerinnen und Künstler. Mit seiner jüngsten Komposition antwortet Vuletic auf einen Slogan der US-amerikanischen Rechten: „Sorry I can't hear you over the sound of my freedom" heißt deren Spott, arrogant von oben herab auf Andersdenkende niedergehend.
I hear you, versichert Vuletic - und nähert sich in diesem Jahr mit seinem Werk dem Genre des Musiktheaters - jedenfalls geht weit über ein normales Konzert hinaus, was der Komponist seinem Publikum präsentiert. Das hat er in der an der Rückseite verspiegelten Eingangshalle der Sammlung Philara in sieben oder acht Blöcken platziert, in denen er es über kreuz und quer im Raum verteilte Lautsprecherboxen beschallen lässt. Die Pianistin Alina Bercu, der Trompeter Nate Wooley, Rafal Zalech mit der Viola und Vuletic selbst, der seine Sounds mittels Computer sowie mit allen erdenklichen „odd instruments“ beisteuert und gleichzeitig unauffällig seinen Musikern Einsätze anzeigt, sitzen respektive stehen auf kleinen Inseln, die in der großen Halle in der Nähe der vier Wände installiert sind. So hat man als Zuschauer ein geradezu immersives Erlebnis.
Vuletic hat nicht nur die Musik geschaffen, sondern auch Gedichte geschrieben, die er nun gewispert, gesprochen und oft bis zur Unkenntlichkeit verzerrt in seine Aufführung einfließen lässt. Kaum jemand im Raum dürfte alle vier Musiker von seinem Platz aus im Blick haben, und kaum jemand dürfte in der Lage sein, Vuletics Texte vollständig zu verstehen. Doch die Musik und die teils englischen, teils spanischen, teils serbokroatischen Texte verschmelzen zu einer Partitur, die dem Publikum ein museumskompatibles, intensives experimentelles Kunst- und Klangerlebnis beschert.
Und wo bleibt die politische Konnotation, die man angesichts der in Aussicht gestellten Antwort auf die amerikanische Rechte erwartet? - Nun, Bruchstücke der Texte bleiben sehr wohl hängen in den Köpfen und verhaken sich im Gehirn. Der Abend beginnt mit offenbar von Funkgeräten abgesandten Lauten in mutmaßlich russischer oder ukrainischer Sprache und mit Kriegsgeräuschen. Anklänge an Nationalhymnen lassen sich aus der Komposition herausfiltern, von „burning societies“ ist die Rede. Im siebten und letzten Satz der Komposition (nebst einer Ouvertüre) zitiert Vuletic den im Kalten Krieg in den Westen geflohenen sowjetischen Wissenschaftler Michail Klochko, der vor seiner Flucht u. a. in China lebte und arbeitete. Er erzählt von der chinesischen Massenkampagne des Jahres 1958 zur „Erschlagung der Spatzen“, der Stechmücken, Ratten und Fliegen, die eine Produktionssteigerung in der Landwirtschaft zum Ziel hatte. Die Kanonen, mit denen damals auf Spatzen geschossen wurde, gingen nach hinten los: Die Vögel fielen fortan als wichtige Vertilger von Schädlingen aus. „Recuerdo una pertubacion“, heißt es in einem von Vuletics Gedichten: „Ich erinnere mich an eine Störung.“ Und: „Democracy dies in Darkness.“ - Grandios!