Übrigens …

Die Erdfabrik im Duisburg, Gebläsehalle

Der Ruf des gestürzten Himmels

Mit der zweiten Premiere lädt die Ruhrtriennale in die Gebläsehalle des Dampfgebläsehauses des ehemaligen Stahlwerks im Duisburger Nordpark (auf dessen Gelände es auch eine Schachtanlage gab). Der raue Charme dieser Halle als Industrie-Dom mag Freunden des Festivals noch als Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir, der spektakulären, wuchtigen Schlingensief-Arbeit aus dem Jahr 2008 in Erinnerung sein.

Es sind dieses Ambiente als Zeuge des industriellen Erbes des Ruhrgebietes und die Gedichte Die Erzstufe und Ein Sommertagstraum von Annette von Droste-Hülshoff, die den griechisch-französischen Komponisten Georges Aperghis zu seinem Blick ins Innere der Erde - und wohl auch des Menschen - inspirierte und das Musik-Werk Die Erdfabrik schaffen lies.

Vorbei an gewaltigen, längst ausrangierten Elektroturbogebläsen ersteigt man den Saal, in dem vorne über die gesamte Breite Klangkörper aufgebaut sind. Neben den üblichen Schlagzeug-Instrumenten steht da ein Amboss, hängen Ketten aus der Decke herab und seltsame Töpfe und Glasflaschen an diversen Gestellen. Im Hintergrund eine riesige Projektionswand, seitlich zwei kleinere.

Vier Gestalten tauchen auf, verteilen sich auf die Instrumente: Christian Dierstein und Dirk Rotbrust (Perkussion), Marco Blaauw (Trompete), Sophie Lücke (Kontrapass). Sie greifen jedoch nicht nach den dekorativ aufgebauten Instrumenten, sondern zaubern Melodicas hervor, aus denen sie raumfüllende, grelle Töne herausblasen. Dann erscheint Donatienne Michel-Dansac , erhebt ihre Stimme fragend:

Wo bin ich?- bin ich? –auf der See?

Und welch Geriesel immerzu,

Wie Regentropfen, regnet’s?

(Es sind die letzten Zeilen des Droste-Hülshoff-Gedichtes „Die Erzstufe“.) Dazu tropfende Geräusche. Irgendwann tropft tatsächlich Wasser.

Ansonsten gibt es wenig Text für die brillante Sängerin. Wohl aber Ächzen, viele Laute, Geräusche die sie mit strahlendklarer Stimme in die Instrumentenklänge einfügt. Die Texte des Poeten Jean-Christophe Bailly werden vielmehr als kompakte Gedichte von den Musikern und der Musikerin gesprochen, was ihnen nicht immer gut tut. Ihre Musik hingegen ist bravourös: unglaublich, welche Töne und Geräusche sie aus den Instrumenten und Geräten herauszaubern. Da wühlen sie sich scharrend und schürfend durch die Erdschichten, lassen mit Getöse die Gesteinsbrocken brechen oder bringen mit schlagenden Hämmern, singenden Sägen, heulenden Sirenen und blinkenden Ketten aus dem Bühnenhimmel die Welt der Bergarbeiter in den Saal. Wenn allerdings auch das Zwitschern der Kanarienvögel imitiert wird (die Vögel begleiteten die Bergleute, weil sie extrem empfindlich auf Gas oder Sauerstoffmangel reagieren), wird es dann doch ein bisschen viel an Lautmalerei.

Dabei bleibt es aber nicht. Es geht auch um Schlaflosigkeit, um das Delirieren zwischen Traum und Wachen, zwischen Licht und Dunkelheit. Die Bilder überlagern sich, die Schichtungen der Erde und des Lebens gehen ineinander über. Bilder aus dem Kinderleben, das sich drehende Karussell oder das Blindekuh-Spiel gehen über in existenzielle Dunkelheit. In eine Dunkelheit, die einmal die „völlige Abwesenheit des Lichtes“, ein anderes Mal „ das Echo des Lichts“ sein kann. Es geht um das „Dunkel, wo Menschen nur hingelangen, wenn sie tot sind, wo sich das Leben aber fortwährend erneuert“. Denn an den „Ruf des gestürzten Himmels“ gibt es ein Erinnern im „tiefen, dunklen Stollen“, wohin uns „allein ein Rückzug aus der Zeit, allein ein Grab“ retten kann. Das muss man wohl nicht wirklich verstehen. Ein bisschen darf man sich wohl wegträumen bei dieser gelegentlich ohrenbetäubenden und zugleich hochsensiblen Musik, die in ihrer Vielschichtigkeit mehr überzeugt als der Bailly’sche Text.

Das Ganze wird begleitet von meist abstrakten schwarz-weißen Strichzeichnungen als Videos (Jérome Tunzer), die gelegentlich einen Schacht andeuten, in den das Auge hineingezogen wird. Gegen Ende wird es konkreter, da ziehen schattenhaft oder als angedeutete Strichmännchen Kolonnen von Bergleuten über die Projektionswände. Dann nur noch Beton, dazu monotones Brummen des Basses. Schließlich ein rundum betonierter Tunnel, in den von allen Seiten zu heulenden Klängen gelb- und rostfarbene Wurzelgebilde einbrechen. Ein Bild für die Rückeroberung der zerstörten Welt durch die Natur? Ein Hoffnungsschimmer, wie auch die Stimme, die am Ende behauptet, sie habe „Licht gesehen, das in der Tiefe des Dunkels ruht“. Die Musiker greifen wieder zu den Melodicas, als wollten sie den Charme und das Füllhorn ihrer Anregungen wegblasen.

Ein Abend, der keine Geschichte erzählt, vielleicht auch weniger „Musiktheater“ als schlicht Performance aus Musik, Text und Bild genannt werden sollte. Dabei stellt sich die Frage, warum das Werk vom Komponisten selbst, dem 77jährigen Siemens-Musikpreisträgers Aperghis, so statisch inszeniert wird und der Text, wenn schon (von Laien) gesprochen, nicht um einiges gekürzt wurde.

Ein Abend, der anregen kann zu Assoziationen und Imaginationen, auch wenn Text und Regie nicht immer überzeugen.