Übrigens …

Macbeth im Essen, Aalto-Theater

Bis repetita non placent

Und wieder ein Macbeth zum Start in einen neuen Zeitabschnitt der Leitung des Essener Aalto-Theaters. Intendantin Merle Fahrholz und der neue Generalmusikdirektor Andrea Sanguineti wählen wieder Verdis Oper zum Einstieg, wie es 2013 Tomas Netopil und Hein Mulders taten. Das ist mutig. Genauso mutig ist es, die Regie der jungen Regisseurin Emily Hehl anzuvertrauen, die eher der Freien Szene zuzuordnen ist. Die Zeichen stehen also auf frische Luft, auf Durchzug geradezu. Der ist absolut begrüßenswert und zeugt von Fahrholz‘ Willen zur Veränderung, deren es in jedem Theater bedarf. Denn Stillstand würde ja immer auch Rückschritt bedeuten.

Macbeth also: Eine Oper, die tief in die Abgründe der menschlichen Seele leuchtet. Wie gerät das Ehepaar Macbeth in den Strudel, der aus Machtgier einen Mord nach dem nächsten nach sich zieht? Wie entmenschlichen die Beiden sich immer mehr?

Emily Hehl und ihr Team finden gerade im ersten Teil treffende Bilder für Seelenzustände. Die Chorist*innen stellen verschiedene Ticks und Psychosen dar. Lady Macbeth fährt ihre Ängste vor dem ersten Mord, die durch eine Tänzerin symbolisiert werden, durch Autosuggestion herunter. Das sind feine Zustandsbeschreibungen.

Doch erstmal: Alles auf Anfang. Frank Philipp Schlössmanns Bühne wird beherrscht von einer weißen Wand (später werden dort die Namen der Mordopfer niedergeschrieben). An dieser Wand scheint der Damenchor zu kleben. Tastend verbinden sich die Damen mit drei Tänzerinnen zu einem unförmigen Gebilde, aus dem heraus die Hexen Macbeth seinen Aufstieg zur Macht prophezeihen. Das ist schon sehr wirkmächtig.

Doch leider verharren Regisseurin Hehl und ihr Team in diesem Duktus, wiederholen oft Bilder, deren Wirkung sich dadurch abnutzt. Der Gehalt von Verdis Macbeth wird bis ins Kleinste abgeklopft. Was jedoch völlig fehlt, ist der Blick auf die Entwicklung der Figuren, deren Verwicklung in eine Abwärtsspirale. Es fehlt das Hinhören, das Hineinfühlen in Verdis Musik. Die Integrierung der Ballettmusik (von Verdi für die Pariser Aufführungen des Macbeth komponiert) befördert trotz traumschöner Choreografie leider nur den statischen Charakter dieser Inszenierung. Nur in der Musik kommt das schicksalshafte Driften in den Abgrund, das sich immer mehr beschleunigt, zum Ausdruck. Es passiert - und das muss in aller Deutlichkeit gesagt werden - viel zu wenig in Hehls Deutung des Macbeth. Die Waagschale hat sich zugunsten intellektueller Betrachtung gesenkt. Emotionen und Musik werden für zu leicht befunden. Es mangelt eindeutig an Spannung.

Astrik Khanamiryan singt als Lady Macbeth eine wunderschöne Wahnsinnsarie, geht dabei völlig aus sich heraus, kommt ansonsten daher wie eine coole Dame, die Morde mit der gleichen Selbstverständlichkeit plant wie den Kauf einer neuen Handtasche. Massimo Cavallettis Macbeth ist von Zweifeln an seinem Tun durchsetzt. Im zweiten Teil fehlt ihm dann leider die Kraft, um seine zehrende Partie bis zum bitteren Ende auszureizen.

Die Hauptrolle aber spielt in dieser Inszenierung der Chor (Einstudierung: Klaas-Jan de Groot). Dass am Aalto-Theater der Chor immer zu gesanglichen Höchstleistungen fähig ist, ist kein Geheimnis. Im Macbeth aber wird er ganz anders gefordert, ist wie im griechischen Drama Kommentator und Katalysator der Handlung. Außerdem fordert Hehl jedes einzelne Chormitglied darstellerisch ganz individuell. Das ist bewegungstechnisch Schwerstarbeit, die absolut bravourös bewältigt wird.

GMD Andrea Sanguineti passt sich im Tempo der Inszenierung an, produziert mit den Essener Philharmoniker*innen Wohlklang, ohne jedoch Verdi-Funken zu schlagen und den Orchestergraben zum Lodern zu bringen

Zugegeben, es war ein Wagnis von Merle Fahrholz, „ihre“ Eröffnungspremiere in die Hand einer eher „fachfremden“ Regisseurin zu legen. Doch ein Experiment darf auch mal scheitern. Deshalb ist es ja ein Experiment. Davon sollte Fahrholz noch viele wagen, um den weitgehend geschlossenen „Opernzirkel“ zu öffnen.