Der Dichter in der Klapse
Das steht das Wartezimmer einer Klinik auf der Bühne. Einer Poliklink offenbar, denn hier gibt es eine Geburtsstation offenbar genauso wie eine psychiatrische. Die Klinik scheint ein wenig abgewrackt, einige Fenster sind mit Brettern vernagelt. Das ist ganz sicher ein Ort für gesetzlich Versicherte, kein Platz, den Privatpatient:innen aufsuchen würden. Hier wartet der Dichter Hoffmann auf ein Patientenerstgespräch. Und er ist offensichtlich sehr nervös. Deshalb gönnt er sich auch ab und an einen Schluck aus seinem Flachmann. Das scheint auch nötig, denn er trifft hier bereits auf einen stänkernden Rollstuhlfahrer, der ihm bald noch in allerlei Gestalt begegnen soll. Und er ahnt ja auch noch nicht, dass Einzeltherapiegespräche mit der Klinikleiterin auf ihn warten…
Robert Lehmeier lässt Offenbachs Hoffmanns Erzählungen in eben dieser Klinik spielen. Ein möglicher Ort. Man könnte natürlich einwenden, dass für beinahe jede Oper dieses Setting taugen könnte, sind doch auf den Bühnen jede Menge überspannter Charaktere unterwegs. Aber es stimmt schon: Bei Offenbach könnten dem Titelhelden einige passende Diagnosen gestellt werden - Psychosen, manische Depression und derlei mehr. Genau das versucht die Chefpsychiaterin zu ergründen und nimmt erst mal das Liebesleben des Patienten genau unter die Lupe.
Die erste Liebe Hoffmanns ist gleich ein voller Flop: Er verliebt sich in einen Automaten namens Olympia. Der gleicht zwar einem Menschen, ist aber keiner. Hoffmann ist blind vor Liebe. Deshalb erkennt er es nicht. Erst als der vormalige Rollstuhlfahrer in Gestalt des Coppélius die ganze Chose auffliegen lässt, wird Hoffmann aus seinem Wahn wach und von der Gesellschaft verspottet. Wenn das kein Grund für eine psychische Erkrankung ist! Und die künstliche Kreatur Olympia entwickelt menschliche Eigenschaften, hat gar keinen Bock mehr auf‘s Angestarrtwerden, erschießt etliche Anwesende und jagt letztlich das ganze Partyvolk in die Luft. Ist das eine Vision darüber, was uns von der künstlichen Intelligenz drohen mag?
Und auch die Zuneigung zu Antonia ist ein Fiasko. Hoffmann verliebt sich nicht nur in die Frau, sondern auch in die begnadete Sängerin. Beide wissen, dass zu große Aufregung für sie der Tod sein kann, doch Hoffmann ermuntert sie durch seine Liebe vorsichtig, doch zu singen. Das nutzt der gemeine Miracle voll aus: er heizt Antonias Lust zu Singen an, indem er den Geist der toten Mutter heraufbeschwört. Das Ende vom Lied: Antonia stirbt und Hoffmann sieht sich beschuldigt, dafür ursächlich zu sein. Robert Lehmeier fallen gerade für diesen Akt nur sehr konventionelle Bilder ein, die die Aufmerksamkeit wenig zu fokussieren wissen.
Dann hat Hoffmann genug von der Liebe. Doch die schöne Hure Giulietta lässt ihn wieder an echte Gefühle glauben. Doch die Angebetete will nur sein Spiegelbild rauben. Am Ende steht Hoffmann vor den Scherben seines Lebens. Doch die Psychiaterin, die hier zugleich seine Muse ist, eröffnet Hoffmann die Perspektive auf einen Neubeginn.
Robert Lehmeier erzählt Hoffmanns Erzählungen im Grunde trotz der Verortung der Handlung in einer Klinik eher konventionell und stringent. Er vernachlässigt dabei eine wirklich gründliche Auslotung des Charakters Hoffmann, indem er auf dessen Existenz als Künstler eigentlich gar nicht eingeht.
Alle kleinen Rollen kann das Landestheater, das für seine Förderung des Nachwuchses immer zu loben ist, prächtig besetzen. Das DetmolderUrgestein, Brigitte Bauma, lockt als Geist von Antonias Mutter betörend fies die Tochter zur körperlichen Verausgabung. Francesco Damianis Chor überzeugt gesanglich und durch sein darstellerisches Engagement.
Emily Dorn bleibt als Antonia etwas blass. Das mag an der Regie liegen. Insgesamt wirkt die Charakterdarstellung einen Tick zu süßlich. Stimmlich ist dabei ebenso wenig auszusetzen wie bei Penelope Kendros‘ Olympia, die bisweilen einen sehr „straighten“ Zug in sich trägt. Adréana Kraschewski gibt eine verschlagene Giulietta, die ihre Liebesglut stimmlich hervorragend vortäuschen kann.
Stephen Chambers für verfügt in der Titelpartie über viel Strahlkraft und genügend Kraftreserven. Etwas vermissen lässt er noch die tiefe Auslotung eines zerrissenen Charakters. Das wird sich aber gewiss noch entwickeln. Den gesanglichen Glanzpunkt aber setzt Lotte Kortenhaus als Muse – oder sollte man besser sage: als Klinikchefin?. Sie dirigiert das Geschehen mit ihrem volltönenden Mezzosopran, der in allen Lagen ebenmäßig ist.
Per-Otto Johannson und sein Orchester offenbaren die Juwelen in Offenbachs Partitur und lassen den Abend blitzend funkeln. Das Premierenpublikum reagiert mit spontanen, riesigen Ovationen.