Übrigens …

Hello, Dolly! im Gelsenkirchen, Musiktheater im Revier

It only takes a Moment

Put on your Sunday clothes, there‘ a lot of world out there“, singen Barnaby und Cornelius, bevor sie sich ins pulsierende Leben der Großstadt New York stürzen, um aus ihrem öden Alltag in der Vorstadt Yonkers zu flüchten und Abenteuer zu erleben. Sie ahnen nicht, dass sie dort ihrem Arbeitgeber Horace Vandergelder begegnen werden, der Ausschau hält nach einer vorteilhaften Partie. Auch dessen Nichte Ermengarde ist aufgebrochen, um ihren Onkel endlich davon zu überzeugen, dass ihr Geliebter Ambrose der Richtige für sie ist.

Schon jetzt verwirrt? Macht nichts, denn wir haben ja Dolly Levi. Die hält jeden Faden der Handlung in der Hand und lässt die Figuren wie Marionetten nach Belieben tanzen. Und so fällt der Überblick nicht wirklich schwer. Dolly hält sich nach dem Tode ihres Mannes mit allerlei „zwischenmenschlichen Diensten“ über Wasser und wurde von Vandergelder beauftragt, eine Frau für ihn zu finden. Dabei will sie den gut betuchten Mann längst für sich. Und was Dolly will, bekommt sie am Ende auch. Bis dahin sind eben nur ein paar Intrigen zu spinnen und ein Netz zu spannen, in dem alle Beteiligten zappeln. Die recht simple Handlung lebt von den überragenden Songs und Situationskomik.

Beiden gibt Carsten Kirchmeier in seiner Inszenierung genügend Raum. Gut, dass er nicht versucht, Experimente zu machen. Denn ein Musical-Klassiker wie Hello, Dolly! verträgt auch nur eine wirklich entsprechende Inszenierung. In diesem Rahmen nutzt Kirchmeier seinen Spielraum völlig aus: Eine üppige Szene reiht sich an die andere und die Titelfigur wird stets ins rechte Licht gerückt - steht also immer im Mittelpunkt. Und diese Stellung nützt Anke Sieloff voll aus, und das nicht nur mit einer feinen gesanglichen Leistung. Sieloff verströmt immer eine warmherzige Menschenzugewandtheit, die durchaus auch mit einer gehörigen Portion Egoismus gepaart ist. Das gerade macht den Reiz dieser Figur aus.

Jürgen Kirner bereitet eine perfekte Musical-Bühne, die es mittels Drehflächen erlaubt, den Handlungsort schnell zu wechseln. Kirner kennzeichnet alles mit Requisiten, die unverwechselbar sind: Im Laden des geizigen Vandergelder ist es eine überdimensionale Registrierkasse, der Hutladen ist ausgestattet mit riesigen Hutschachteln und ebensolchen Dekoblumen. Das edle Harmonia Garden Restaurant wird beherrscht von einer auf‘s Beste gestärkten Serviette, die im Bereich der Faltkunst wohl den Namen „Lilie“ trägt. Und wenn dann noch Dolly auf einem Silberlöffel in den Saal schwebt, ist das Publikum schwer begeistert. Beata Kornatowska verwendet unglaublichen Einfallsreichtum für die Kostüme: Das gilt nicht nur für die Kleidung der Hauptdarsteller*innen - auch der Chor ist liebevoll und höchst individuell gekleidet.

Das Herzstück dieser Inszenierung ist aber Paul Kribbes Choreografie: Nicht nur mit seinem Tanzensemble stellt er bewegungsreich Verbindungen her zwischen Handlungsschritten und kreiert einprägsame Bilder. Kribbe bezieht auch immer wieder die Darsteller*innen ein. Und weil auch der Chor einfühlsam mittut, gelingen immer wieder fantastische Gesamteindrücke auf der Bühne.

Überhaupt der Chor. Ihm fällt die Aufgabe zu, visuell die Inszenierung zusammen zu halten. Und Alexander Eberles Ensemble gelingt das aufgrund seiner Spielfreude ganz vortrefflich, vor allem, weil er sich bruchlos in die Choreografie einzufügen weiß - so ganz nebenbei überzeugt der Chor auch durch homogenen, ausgewogenen Klang.

Alina J. Simon und Jonathan Guth sorgen als Ermengarde und Ambrose als ungleiches Paar immer wieder für komische Momente, Julia Heiser (Irene Molloy) und Sonja Hebestadt (Minnie Fay) sind junge, unbändig lebenslustige Frauen. Sebastian Schiller als Cornelius Hackl und Nicolai Schwab als Barnaby Tucker glänzen als Angestellte, die ihrem Alltagsleben entkommen wollen, sind beide perfekte Musical-Darsteller, die sowohl gesanglich als auch tänzerisch punkten können. Dirk Weiler ist ein störrisch verstockter, geiziger Vandergelder, dessen harte Schale Dolly Levi nur durch harte Arbeit knacken kann.

Peter Kattermann und die Neue Philharmonie Westfalen erweisen sich als sehr sensibel in den Vorspielen zu beiden Akten, können zwischendrin aber auch mal ordentlich aufdrehen. Ein unglaublicher Vorteil ist, dass die Lieder in Originalsprache gesungen werden.

Obwohl der Stoff von Hello, Dolly! schon etwas angestaubt daher kommt, beweisen die Inszenierung von Carsten Kirchmeier und vor allem die unsterblichen Songs, die sofort ins Blut gehen, dass der Musical-Klassiker immer noch seinen Platz auf den Theater-Bühnen hat und einen Wohlfühlabend garantiert. Und aus diesem Grunde gilt: „Hello Dolly. It‘s so good to have you here, where you belong“.