Übrigens …

In Barbiere di Siviglia im Theater Hagen

Rosina träumt vom Märchenprinzen

Ist das denn nicht zu viel des Guten? Figaro, als Barbier von Sevilla stadtbekannt, wirkt wie eine Mischung aus Clown, Zirkusdirektor und Showmaster. Don Bartolo, der zum senfgelb karierten Anzug Hermelinmantel und Krone trägt, wächst vor lauter Eifersucht auch noch ein Drachenschwanz. Und Haushälterin Berta schwebt als Oktopus durch die Szene. Rosinas Träume vom Märchenprinzen sind voll poppig bunter, grotesker Gestalten.

Für die Neufassung von Rossinis Erfolgsoper am Theater Hagen fährt Susana Mendoza (Kostüme) üppig auf. Und Intendant Francis Hüsers hat an einen Kontakt seiner Hamburger Zeit angeknüpft. Er konnte die Regisseurin Sabine Hartmannshenn gewinnen, die mit ihren Arbeiten internationale Erfolge feierte und inzwischen an der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf lehrt. Sie macht aus Rossinis Dauerbrenner eine überdrehte Fantasy-Orgie, angesiedelt im Irgendwo zwischen Barbiewelt, Disneyland und J.R.R. Tolkiens Hobbithöhle.

Natürlich ist das vollkommen überzogen, aber nicht zu viel des Guten. Erstens, weil Rossinis Werk ohnehin vor Ironie trieft und daher eine Menge verkraften kann. Zweitens, weil die Motorik seiner Musik so lange heiß läuft, bis die Figuren buchstäblich am Rad drehen und vor lauter Verwirrung nur noch Satzfetzen stammeln. Das Delirium ist vom Komponisten gewollt.

Zudem versteht Hartmannshenn sich auf punktgenaue Komik und achtet darauf, dass der Spaß trotz hohen Tempos nicht zur Klamotte wird. Sie lässt das Stück auch nicht gleich im Märchenreich beginnen. Rosina träumt sich aus einer tristen Vorstadt fort, wo sich biertrinkende Halbstarke auf verschmierten Parkbänken treffen. Wenn sie aus ihrem Traum heraustritt wird sie zu einer Frau gereift sein, die nicht mehr auf einen Prinzen wartet.

Mag sein, dass diese Rahmenhandlung ein wenig dünn gezeichnet ist. Aber spätestens, wenn Don Basilio seine Arie über die Verleumdung („La calunnia“) in einem Giftlabor voller Pilze anstimmt, glaubt man selbst unter den Einfluss psychedelischer Wirkstoffe zu geraten. Die Bühne von Stefan Heinrichs und die Beleuchtung von Hans-Joachim Köster schaffen so spektakuläre Effekte, dass man sich die Augen reiben möchte.

Da zerfließt ein Traumschloss wie Wachs, um einem neuen Platz zu machen. Wie beim Blick durch ein Kaleidoskop zersplittern die Bilder und setzen sich zu immer neuen Formen zusammen. Eine schräg gestellte Spiegelwand hilft dabei, aber wie die Illusion im Einzelnen funktioniert, bleibt eines jener wunderbaren Theaterrätsel, die sich erst später erschließen - oder auch nicht.

Musikalisch ist die Produktion gelungen, auch wenn am Premierenabend noch Luft nach oben bleibt. Unter der Leitung von Kapellmeister Rodrigo Tomillo verwackelt das Philharmonische Orchester Hagen den Einsatz zur Auftrittsarie des „Figaro“. Ein plötzlicher Tempowechsel klappt nicht reibungsfrei, in der Binnengestaltung fehlt zuweilen ein Hauch Eleganz. Aber der Grundton stimmt: Der Charme der Melodien, das beschwingte Federn der Begleitachtel, die schäumenden kleinen Wellen der Ouvertüre und die mitreißend anschwellenden, motorischen Rossini-Walzen machen unmittelbar gute Laune. Ebenso der von Julian Wolf einstudierte Herrenchor des Theaters, der als köstlich kindische Pilzparade in Erscheinung tritt.

Indem die Regie Rosina zur Hauptfigur macht, hebt sie die beste Stimme dieses Abends aufs Silbertablett. Der Mezzosopran von Anna-Doris Capitelli klingt im tiefen Register reich und glanzvoll, ist insgesamt so geläufig wie geschmeidig. Mögen höhere Frauenstimmen mehr Spitzentöne bringen, wen kümmert es? Capitelli ist im Gesangsstil des „Belcanto“ souverän, geht frei und sicher mit Verzierungen um. Wenn diese Frau damit droht, vom Kätzchen zur Viper zu werden, nimmt man ihr das ab.

Figaro, verkörpert durch den Gast Yevheniy Kapitula, besitzt eher ein elegant helles Bariton-Timbre als markige Bassnuancen. Einmal auf Betriebstemperatur gekommen, versteht er sein quirliges Spiel damit zu adeln. Haustenor Anton Kuzenok (Lindoro bzw. Graf Almaviva) beginnt steif, singt sich dann aber in bemerkenswerter Manier frei. Seine Stimme gewinnt an Strahlkraft, vor allem aber an Beweglichkeit, die er dann auch gut einsetzt. Der Gast Tiziano Bracci mag sich als Doktor Bartolo zwar grob benehmen, wahrt mit seinem Bass aber sonore Eleganz.

Seine Vorsicht, Rosina betreffend, nützt dem guten Doktor am Ende herzlich wenig. Aber davon kündet Rossinis Barbier von Sevilla ja schon im Untertitel.