Übrigens …

Lohengrin im Theater Hagen

Vogelhochzeit in Brabant

Der deutsche König Heinrich wurde auch „der Vogler“ genannt, weil er ständig eine große Menagerie von Singvögeln im Käfig mit sich führte. In Nelly Dankers Lohengrin sind nicht nur Heinrichs Untertanen Vögel - er selbst ist Teil dieser gefiederten Welt und sitzt ihr als Wiedehopf quasi vor. Personen werden Vogelarten zugeordnet: Elsa und Lohengrin sind Pfauen, ihre Widersacher Ortrud und Telramund Fasanen. Außerdem tummelt sich allerlei Federvieh mehr auf der Bühne. Leider bleibt letztlich völlig unklar, warum wer was ist. Da hätte es einer deutlich klareren Regiesprache bedurft, diese Zusammenhänge zu verdeutlichen. Ein interessanter Ansatz verliert sich so im Ungefähren. Das ist schade, zumal auch Robert Pflanz‘ Bühnenbild keinerlei Aufklärung bot: Ein karger Felsen zu Beginn, steinerne Treppen in der Mitte und am Ende ein geflochtenes Vogelnest - das ist alles praktisch nutzbar, bietet aber keine Erhellung des Regiekonzepts. Über der Spielfläche hängen drei rechteckige Flächen, auf denen bisweilen das ein oder andere Video projiziert wird. Immerhin wissen wir durch ein auftauchendes Kirchenfenster, dass wir im zweiten Akt in einer Kathedrale sind.

Natürlich soll ein Publikum gefordert werden, sich auch einmal anders einem sattsam bekanntenRepertoirestück zu nähern. Aber es darf dazu nicht ein ornithologischer Grundkurs vorausgesetzt werden. Auch Dankers Personenführung ist wenig hilfreich, um Licht ins Handlungs- und Emotionendickicht zu bringen. Weder Telramunds innere Konflikte werden in intimer Szene mit Ortruds unbändigem Rachedurst und Machthunger anschaulich kontrastiert, noch ist eine Hochzeitsnacht zweier Liebender je aseptischer dargestellt worden als bei Nelly Danker. Die hat aber auch bei Massenszenen kein Fortune: es wird gestanden, mit den Flügeln gewedelt und sich auf kleiner Fläche von links nach rechts bewegt. Amélie Sators Kostüme sorgen aber jedenfalls ob Farbigkeit und Differenziertheit für ordentliches Aufsehen.

Nelly Danker entzaubert Wagners Lohengrin. Indem sie den Gegensatz zwischen reiner, frei von Vorteilen und Hass beseelter Gralswelt und brutaler Realität als Moment im Lohengrin an den Rand ihrer Betrachtung schiebt und so alle Hoffnung auf Versöhnung beider Welten nicht thematisiert. Das kann diejenigen trösten, die diese Hoffnung ohnehin nicht mehr hegen, drängt aber jedweden Glauben an eine Utopie beiseite. Danker scheut also davor zurück, sich dieser Kernfrage zu widmen. Gerade in Zeiten großer Unsicherheit und Erschütterung des gesellschaftlichen Zusammenlebens hätte man hier eine klare Positionierung erwartet.

Es bleiben vor allem in Erinnerung die Stimmen, die für glanzvolle Momente zu sorgen wissen. Und hier sind es die beiden weiblichen Antipoden, die ausgefeilte Charakterstudien anbieten können. Dorothea Herbert zeichnet - offenbar etwas erkältet - eine fragile Elsa. Sie ist hin- und hergerissen zwischen vertrauender Liebe und dem Boden der Realität, der Klärung gesellschaftlicher Statusverhältnisse fordert. Sanft und mit betörendem Piano beteuert Herbert ihre Liebe zu Lohengrin, kann aber auch stahlhart Forderungen stellen. Das ist ein formidables Rollenportrait, dem Angela Davis ihre Ortrud entgegensetzt: Glutvoll, lodernd ist ihr Mezzo, die Flammen schlagen förmlich aus ihr heraus. Rache ist ihr Mittel, Macht das Ziel. Rücksichtslos dreht Davis bis zur Schrillheit auf. Der Gatte Telramund ist nur Mittel zum Zweck.

Die Herren haben es da natürlich schwer. Aber Dong-Won Seo bietet einen gütigen, versöhnlichen König Heinrich. Mit voller Stimme kann Insu Hwang durchaus die inneren Qualen des Telramund beglaubigen. Tobias Haaks als Lohengrin hat seine Stärken vor allen in den Forte-Passagen. Dann kann er richtig aufdrehen. An differenzierter Rollengestaltung könnte sicher noch gearbeitet werden.

Julian Wolfs Chor meistert die Herausforderung, die der Lohengrin an ihn stellt, mit schier unbändiger Kraft. Das ist absolut bewundernswert.

Joseph Trafton und das Philharmonische Orchester liefern im Vorspiel zum ersten Akt eine wunderbare Durchhörbarkeit. Das ist ein Versprechen, das im weiteren Verlauf nicht immer ganz eingehalten wird. Die eine oder andere Unsicherheit schleicht sich dann doch ein.

Am Ende fallen alle Vögel quasi tot von der Stange. Man fragt sich zwar warum, hat aber insgesamt doch einen Lohengrin erlebt, der lohnenswert ist.