Übrigens …

Zoroastre im Theater Münster

Gut und Böse im actionreichen Kampfgetümmel

Na, das kann ja was werden! Jubel, Trubel, Heiterkeit auf der Bühne, schon bevor das eigentliche Spiel überhaupt beginnt! Wir haben offensichtlich Eintrittskarten für einen Zirkus. Oder ein Theater. Jedenfalls wirkt das Parkett wie eine offene Bühne, auf der sich bereits ein illustres Völkchen tummelt. Hier steht eine Bierzeltgarnitur, dort ein Schminkspiegel. Bunte Lichter allüberall, Luftschlangen, Sektflaschen und etliches mehr - „Happy Birthday“ wird intoniert, das eintrudelnde Publikum singt mit. Eine lächelnde Königin feiert Geburtstag! Und ist dann urplötzlich und buchstäblich in der Versenkung verschwunden. Jetzt entbrennt ein erbitterter Kampf um deren Nachfolge. Zwei potenzielle Erbinnen treten - unterstützt von ihren Anhänger:innen - in Rameaus Zoroastre gegeneinander an. Und es wird mit harten Bandagen gefochten.

Auf der Bühne tobt durchgehend der Bär. Oder sollte man lieber sagen, dass der Elefant steppt? Denn taucht bisweilen auf. Ständige Action in einem Wrestling-Ring ist hier angesagt. Diese Location hat Regisseur Georg Schütky mit Bedacht gewählt - geht es doch um den ewigen Kampf von Gut und Böse, in dem hier ohne Rücksicht auf Verluste agiert wird. Schütky ergänzt diese Auseinandersetzung noch um den Kampf der Geschlechter. Diese werden von einigen Handelnden je nach Opportunität schon mal gewechselt. Dazu kommt dann noch eine herzerweichende Liebesgeschichte.

Nach dem Studium der Handlung ist mensch, wie eigentlich bei jeder Barockoper, keinen Deut schlauer: Wer da wen liebt, wer Intrigen schmiedet - das hat man spätestens nach fünf Zeilen wieder vergessen. Das macht aber rein gar nichts, denn das Regieteam ermöglicht einen unmittelbaren Zugang zur Oper, sorgt für große Plastizität. Vor allem Choreograf Josep Caballero Garcia und seinen Tänzer:innen ist das zu verdanken. Sie illustrieren das Geschehen mit schönen Tanzsequenzen, wildem Kampfgetümmel und akrobatischen Einlagen. Isa Almuth Schmidbauer, Antonia Aae, Luca Völkel, Benedetta D‘Onofrio und Camila Scholtbach sind das tragende und sprechende Fundament der Inszenierung. Diese Leistung ist gar nicht hoch genug zu bewerten und verdient größte Anerkennung. Klar, dass am Ende natürlich das Gute siegt. Da greift man zum Mittel der Meditation, konzentriert sich auf reine Gedanken und hat dann gegen entfachte Höllenfeuer gesiegt. Es geht doch, oder?

Das permanente Bühnenspektakel ist ein unbedingtes Muss, um ein Gegengewicht zu schaffen zu Rameaus doch über weite Strecken recht gleichförmige Musik. Wenige Arien wechseln sich mit vielen rezitativischen Passagen ab. Einige Tänze gesellen sich dazu. Das ist eigentlich Musik für Kenner:innen, die an derart Delikatem sicher ihre Freude haben werden. Und Bernhard Forck, der absolute Barock-Spezialist, entfacht aus dem Sinfonieorchester Münster (ergänzt um Spezialisten wie Gregor Hollmann am Cembalo) wirklich ein kleines Feuerwerk. Allen gelingt eine ganz formidable Interpretation, die Rameaus Spezifika hervorscheinen lassen.

Als Gast in der Titelrolle zeigt David Tricou, wie Barock-Gesang funktioniert. Bruchlos kitzelt er Feinheiten aus der Partitur und meistert Koloraturen perfekt. Das gelingt vom hauseigenen Ensemble am besten Wioletta Hebrowska als Érinice, die explosiv Rachegedanken und Liebesqualen zu artikulieren weiß. Sonst scheint die Affinität zur Barockmusik durchgehend nicht besonders ausgeprägt zu sein. Von Vielen wird vor allem schlicht viel zu laut gesungen. Das kann sich aber sicher in Folgevorstellungen noch ändern.

Ach ja: Der Elefant taucht am Schluss wieder auf. Das tapsige Plüschtier stapft zur Musik auf der Bühne herum. Warum? Vielleicht ein süßer Traum im Marihuana-Rausch? Das wäre ja ab jetzt ganz legal.