Übrigens …

Märchen im Grand-Hotel im Theater Duisburg

Der Halbernst des Lebens

In düsteren Zeiten steigt das Bedürfnis nach Zerstreuung und Unterhaltung. Die Operetten des ungarisch-jüdischen Komponisten Paul Abraham erfüllten in der Weimarer Republik diese Sehnsucht. Eingängige Melodien, nonchalanter Charme, eine apolitische Handlung und ohrwurmaffine Leichtigkeit waren ihr Erfolgsrezept. Das zeigt sich auch an der Lustspieloperette Märchen im Grand-Hotel, obwohl diese unter verzweifelten Umständen entstand. Zum Zeitpunkt ihrer Entstehung kämpfte der einst erfolgreiche Operettenkönig, inzwischen von den Nationalsozialisten als „entarteter Künstler“ gebrandmarkt, im Exil ums Überleben.

Am Theater Duisburg hat die Deutsche Oper am Rhein Märchen im Grand-Hotel jetzt neu aufgelegt, in der musikalischen Rekonstruktion von Henning Hagedorn und Matthias Grimminger, die das historische Notenmaterial durch ihre Einrichtung spielbar machten. Die Handlung des Stücks ist eher dünn: Marylou, Tochter des Hollywood-Filmproduzenten Makintosh, reist in ein französisches Grand-Hotel, weil sie dort ausreichend Stoff fürs nächste Drehbuch zu finden hofft. Nach dem Motto „Das Leben schreibt die besten Geschichten“ beobachtet sie die Gäste, die dort zwischen Schein und Sein logieren. Zentrale Achse des Verwirrspiels sind die Infantin Isabella von Spanien und der in sie verliebte Zimmerkellner Albert, die erst nach Irrungen und Wirrungen zum kinogerechten Happy End finden.

Sonderlich aufregend ist das nicht, aber als Folie für eine Typenparade in mondäner Kulisse reicht es allemal. Abrahams Zweiakter gleicht aus heutiger Sicht eher einem Musical als einer Operette. Michaela Dicu, die an der Rheinoper die Kinder-, Jugend- und Familiensparte leitet, verzichtet in ihrer Inszenierung darauf, dem Unterhaltungsstück psychologische Tiefe aufzuzwingen. Sie setzt ein Kostüm- und Ausstattungsspektakel in Gang, bei dem der Intellekt getrost in die Sommerferien vorausfahren darf.

Die Kostüm- und Bühnenbildabteilungen des Theaters haben das Primat. Auf einer Drehbühne präsentiert Rifail Ajdarpasic verschiedene Innenansichten des Grand-Hotels, vom Foyer über die Luxussuite bis zum Spa-Bereich. Die werden von Guido Petzold mal stimmungsvoll in Blau- und Rottönen ausgeleuchtet, mal in glamouröse Helligkeit getaucht. Die Kostüme von Ariane Isabell Unfried bringen die Typenparade auf den Punkt. Vom Bademantel bis zum Kellneranzug, vom Riemchenschuh bis zum Fächer, vom Leopardenmantel bis zur Prinzenuniform reicht das Spektrum, das Unfried höchst gekonnt bedient.

Gleichwohl verdankt es sich Michaela Dicus Gespür für Ironie, dass die altmodische Show nicht gänzlich altbacken wirkt. Bei ihr scheinen alle Figuren zu wissen, dass sie nicht viel mehr sind als Rollenklischees. Wenn die Infantin theatralisch über die Sessellehne in Ohnmacht sinkt, wenn im Wellnessbereich plötzlich synchronschwimmende Badenixen aus dem Whirlpool auftauchen sind Lacher garantiert. Diese Momente sind wie eine Empfehlung, alles höchstens halbernst zu nehmen: „It is not the end of the world“ (Es ist nicht das Ende der Welt) steht in Leuchtschrift über dem Dienstboteneingang.

Die Duisburger Philharmoniker geben dieser Leichtlebigkeit unter dem Dirigat von Stefan Klingele akustischen Ausdruck. Sie verbinden eine Foxtrott-Welt samt Drumset und Swing mit der Adelssphäre des Wiener Walzers. Die Geigen geben den Melodien Schmelz, die Celesta geizt nicht mit Zuckerguss. Alles fließt so leicht und unbeschwert dahin, als bekäme man ein Stachelbeerbaiser mit einem Glas Sekt serviert. Das hat vielleicht keinen höheren Nährwert, ist aber trotzdem nett.

Das Ensemble wirft nicht nur Lust am Komödiantischen in die Waagschale, sondern auch einiges an Stimmkunst. Sylvia Hamvasi (Infantin Isabella) und Carmen Fuggiss (Hofdame Inez de Ramirez) haben im hohen Register keinerlei Probleme, und Valerie Eickhoff zeigt als Marylou auch vokal eine Menge Selbstvertrauen. Jake Muffett (Albert) und Prinz Andreas Stephan (Cornel Frey) halten mit Schmelz und Eleganz dagegen. In Joachim Gabriel Maaß (Matard/Dryser) hat diese Produktion ein echtes Bühnentier, das die ölige Diskretion des Hoteldirektors genussvoll ausspielt. Der Rest des Ensembles schließt nahtlos an diese guten Leistungen an. Die Tänzerinnen und Tänzer heizen die Stimmung bis zu Klatschmärschen an.

Am Ende kommt die forsche Marylou zu ihrem Kinoknüller, auch wenn sie für das Happy End selbst die Regieanweisungen geben muss. Man darf gespannt sein, ob Märchen im Grand-Hotel auch an der Kasse der Rheinoper Zugkraft entwickelt.