Ein heikles Experiment
Zwei junge Paare geraten in ein Experiment. Sie sollen so durcheinander gebracht werden, dass sich die ursprünglichen Konstellationen auflösen und neue Beziehungen entstehen. Wahlverwandtschaften also oder, weil es ja hier um Mozart geht, Cosi fan tutte? Nein, es ist Die Zauberflöte, von Regisseurin Magdalena Fuchsberger in das fiktive Laboratorium „Aesculab“ verfrachtet. Was in der Essener Oper einigen Unmut erzeugte.
Die Grundidee ist gar nicht schlecht: Von Anfang an gibt es Prüfungen, die sonst dem zweiten Akt vorbehalten sind. Und das rätselhafte Gegeneinander von Sarastro und der Königin der Nacht - wer ist gut, wer ist böse, wer kontrolliert die Zauber-Instrumente? - löst sich ein wenig auf, weil beide als Leiter der Aesculab-Gemeinschaft fungieren.
Dirigent Christopher Moulds hat sich daher bereitgefunden, dem „ursprünglichen“ Paar Papageno und Pamina einen Sonderplatz einzuräumen und ihr Duett „Bei Männern, welche Liebe fühlen“ direkt in den Beginn der Ouvertüre einzubauen. Keck, aber stimmig - weitaus stimmiger als weitere Änderungen wie das Kürzen oder Streichen von Arien, das Hinzunehmen eines Duetts von Tamino und Papageno oder der brachiale Schlusseffekt. In den feierlichen Finalchor kracht nämlich die gewaltsame Auflösung der Geheimgesellschaft hinein, und das nachgeschobene Adagio aus Mozarts „Gran Partita“ soll den Ausblick auf eine freie Welt symbolisieren…
Leider teilt sich das szenisch nur bedingt mit. Denn der Aktionismus auf der Bühne lässt von Anfang an das Interesse an den Figuren verblassen. Taminos Bildnisarie etwa, herrlich gesungen von Aljoscha Lennert, wird als Prüfungsaufgabe mit dem Befehl „Singe!“ verkauft - so muss sie nicht mehr in eine Geschichte integriert werden. Der schwarze Sklave Monostatos, an dem man eigentlich die Missstände der Sarastro-Gemeinschaft darstellen könnte, schrumpft zur Episodenfigur mit der Krokodilmaske des Kasperletheaters. Die Videos im Hintergrund schließlich wirken teils entbehrlich, teils müssen sie szenische Lücken schließen wie (überzeugend) die Schlange zu Beginn oder (schwach) der Baum, an dem sich Papageno erhängen will. Gerade im zweite Akt gibt es manche Passage etwa um Papageno, in der das große Konzept Pause machen darf, um recht altmodischer Regie zu weichen. Immerhin: Das Spießer-Wohnzimmer von Sarastro und Königin wirkt zwar wie das Überbleibsel aus einer anderen Inszenierung, bietet aber Raum für das intensivste Figurenporträt des Abends. Denn Judith Spiesser singt die Königin der Nacht nicht nur mit bewundernswerter Präzision und Klangfülle, sondern kann hier zugleich die feine Parodie einer dominanten Mutter zeichnen. Solche Intensität bleibt leider die Ausnahme - weshalb die inszenatorischen Eigenmächtigkeiten am Ende zu einem kleinen Buhkonzert führten.
Ausgenommen davon blieb erwartungsgemäß die musikalische Gestaltung. Die „Königin“ und Tamino krönten ein gutes Ensemble, aus dem noch Lisa Wittigs Pamina herausragte. Und Dirigent Christopher Moulds führte die fabelhaften Essener Philharmoniker zu knackig historisierendem Klang, ohne die lyrischen Stimmungen zu vernachlässigen. Allerdings endete der Premierenbeifall dann ziemlich abrupt - schon seltsam nach einer Zauberflöte.