Kunst und Karneval gegen das Chaos
Dieser Mann will nichts dem Zufall überlassen. Stadtschreiber Sixtus Beckmesser kontrolliert penibel, ob kein Pappbecher im Saal herumsteht und kein Staubfädchen stört. Und so hat er für das nächtliche Ständchen, mit dem er die junge Eva betören möchte, ordentlich Geld in die Begleitung durch eine Harfenistin investiert. Dumm nur, dass die Dame ihre eigenen Vorstellungen von der Musik hat und sich, wenn Beckmesser abgelenkt ist, auch mal vom Acker macht.
Joachim Goltz singt und spielt den Antihelden aus Richard Wagners Die Meistersinger von Nürnberg in der Bonner Oper so hinreißend, dass man das Stück fast nach ihm benennen könnte. Stimmlich und in der Eleganz seines Gesangs braucht er am Premierenabend keine Konkurrenz zu fürchten. Zudem hat ihm Regisseur Aron Stiehl eine Fülle von Details mitgegeben, die den komödiantischen Spaß dieser Neuinszenierung krönen - wunderbar etwa, wie er seine Siegerposen probt. Dass er nebenher dem Lehrjungen David eine Schach-Lektion erteilt, zeigt, wie ernst man ihn eigentlich nehmen muss.
Komische Details offeriert der Regisseur fast schon im Übermaß. Das Stück spielt in einem Festsaal der deutschen Nachkriegszeit, und das bunte Völkchen, das sich dort schon während des Vorspiels versammelt, um den feierlichen Choral zu proben, ist ziemlich aufgekratzt - kein Wunder, steht doch am nächsten Tag die große Karnevalssitzung ins Haus. Aron Stiehl macht im dritten Akt aus dem Aufzug der Zünfte eine Reihe von Karnevalsauftritten, bis die Meister kommen und den Elferrat bilden. Einziger Schönheitsfehler des stimmigen Konzepts ist, dass sich der liebevoll piefig gestaltete Bühnenraum für die Intimität der Schusterstube zwar zusammenziehen lässt, aber dann kaum Atmosphäre vermittelt. Allerdings darf Tobias Schabel als Hans Sachs die großen Monologe auch wie Konzertarien an der Rampe präsentieren. Offenbar nimmt die Regie hier Rücksicht, und Schabel dosiert seinen Einsatz in der Riesenrolle so, dass er im ersten Akt noch hinter den anderen Meistern zurücksteht und erst spät zeigt, welche Reserven er noch hat, um die Schlussansprache zu bewältigen.
Stiehls Regie nimmt hier einen roten Faden wieder auf, den er bereits vor den ersten Tönen des Werks mit der Filmaufnahme eines gesprengten Hakenkreuzes ausgelegt und mit der Prügelfuge fortgesponnen hat: Das lustige Nachkriegs-Völkchen hat die dunkle Vergangenheit zwar hinter sich gelassen, doch bei der nächtlichen Prügelei löst sich auch die Wandverkleidung der Halle und gibt den Blick auf zuvor verdeckte Nazi-Symbole frei. Nächtliche Albraumgestalten kommen wie Diktatoren und rechte Politiker unserer Zeit daher (ein Putin-Kopf steht für den Wahn), und Sachsens Schlussansprache wird zum pathetischen Appell, sich der Kunst zu vergewissern, um den Drohungen des Chaos zu widerstehen. Auf den Pappschildern, mit denen Chor und Extrachor klangmächtig das Publikum umgeben, reihen sich auch Elfriede Jelinek oder Sasa Stanisic - ebenfalls deutsche Meister. Die Kunst, aber auch der Karneval sind die vom Publikum euphorisch beklatschten Mittel der humanen Gesellschaft gegen „Üble Streich“.
Euphorisch bejubelt wurden natürlich ebenso Dirigent Dirk Kaftan und das Beethoven-Orchester Bonn, die einen satten Wagner-Sound mit viel Liebe zum Detail verbanden und somit bestens mit der Regie harmonierten. Im ausgewogenen Ensemble bewies Mirko Roschkowski als Walther von Stolzing die notwendigen Durchsteh-Qualitäten mit Spitzentönen, die farblich etwas abgekoppelt von der lyrischen Grundfarbe wirkten. Manuel Günther als David klingt ein wenig, als wäre er auch schon auf dem Weg zum Stolzing. Anna Princeva und Dshamilja Kaiser in den tragenden Frauenrollen ergänzten das Schusterstuben-Quintett bestens.