Übrigens …

Marie-Antoinette oder Kuchen für Alle! im Dortmund, Oper

Warten auf... die Guillotine!

Früher war alles besser! Da war mehr Personal, mehr Prunk, mehr Publicity. Und jetzt? Tröten die ungehobelten Revoluzzer vor dem Fenster und schreien „Liberté, Égalité, Fraternité“, während unsereins der Vollstreckung des längst gefällten Todesurteils entgegen sieht.

Louis XVI. und seine Göttergattin Marie-Antoinette sitzen wie in einem goldenen Käfig. In ihrem Schloss in Versailles steht seit 20 Jahren ihre Hinrichtung aus. „Langsam machen wir uns lächerlich“, bemerkt der König. Und: „Das kommt davon, dass jetzt jeder mitreden kann“. Denn die siegreichen Citoyens haben die Guillotine noch immer nicht hinab sausen lassen, weshalb das entmachtete Königspaar weiter wie Gefangene im prunkvollen Palast darbt. Und noch nicht einmal Kuchen ist parat, mal abgesehen von jener längst vergammelten Torte, die Cécile aus dem Keller holt. Cécile ist die einzig Verbliebene aus der großen Schar der Hofbediensteten.

Dies ist die Ausgangslage in dem erst 2022 in Berlin uraufgeführten Schauspiel von Peter Jordan Marie-Antoinette oder Kuchen für Alle!, das jetzt in der Oper Dortmund zu einem Stück Musiktheater geworden ist. Marc L. Vogler hat die Musik geschrieben zu einem Libretto aus der Feder von Daniel Schindler. Um es gleich vorweg zu sagen: ein großer Wurf! Sowohl unterhaltsam als auch zu Nachdenklichkeit anregend, ebenso witzig wie ernst, Historisches erzählend und den Blick auf das Hier und Jetzt richtend. Denn diese Parallele drängt sich doch auf: wer sich nicht von „alten Gewohnheiten“ löst, wird früher oder später überrollt, in diesem Fall vom revolutionären französischen Volk. Merke: Geschichte wiederholt sich!

Aber aktualisiert im engeren Sinn wird in Dortmund eigentlich nichts. Muss auch gar nicht, denn das Treiben auf der rokokohaft gehaltenen Bühne mit dem auf ihr tänzelnden Personal bietet genügend Stoff zu Assoziationen. Und jede Menge Anreiz zum Lachen. Eigentlich vergeht in diesem rund 90-minütigen Spaß kaum ein Moment, der nicht angefüllt ist Komik, Sarkasmus, Ironie, intelligentem Witz, Anspielungen - aber auch tragikomischen Momenten… Verschwörungstheorien werden verhandelt, Intrigen thematisiert. Und König Louis bastelt sich seine eigene Guillotine...

Dieses knallbunte Feuerwerk - die jüngste Produktion der Jungen Oper Dortmund - ist eine absolute Teamleistung auf Grundlage der Musik von Marc L. Vogler. Er arbeitet in den kommenden beiden Spielzeiten als Composer in Residence der Jungen Oper: ein total pfiffiger Komponist voller Ideen für spannende, bühnentaugliche und vor allem sängerisch gut umsetzbare Musik. Sie wimmelt von Zitaten (Monteverdis Orfeo spielt hier eine Rolle), trägt aber auch Voglers individuelle Handschrift.

Dorothee Schumacher schafft eine prachtvolle Bühne, entwirft nicht minder prachtvolle Kostüme und detailverliebte Requisiten. Manches ist hier ganz bewusst mehr Schein als Sein! Und dann ist da Lukas Wachernig, der Regisseur. Vor Fantasie nur so sprühend, hat er jede Sekunde des Spiels genauestens im Blick, findet mit unfehlbarem Instinkt passende Gesten, Bewegungen, Personenkonstellationen. Dies alles wirkt als fantastisch arrangierte Mischung aus Lockerheit, Eleganz, ein wenig Slapstick, aber auch Ernsthaftigkeit. Lukas Wachernig hat zudem das Glück, drei perfekt singende und hinreißend spielende Protagonisten auf der Bühne zu wissen: Wendy Krikken ist Marie-Antoinette, Franz Schilling ihr Gatte König Ludwig, Cosima Büsing multifunktional als Cécile, Kardinal de Rohan, Madame Dubarry, Robbespierre, Napoleon und mehr. Herrlich! Ein Trio voller Spaß an der Freud‘, flexibel und stilistisch breit aufgestellt - ob es um ein barockes Menuett geht oder einen zackig bewegten Rap! Alles ist möglich, alles läuft am Schnürchen.

Theater, die für ihr junges Publikum etwas tun wollen, müssen sich diese Dortmunder Produktion ansehen, unbedingt.