Übrigens …

Faust im Wuppertal, Theater

Mephisto wirft die Zeitmaschine an

Eine hübsche Offerte im Programmheft: Bis Anfang Juli können Zuschauer Gebote einreichen, um „Marguerites originales Puppenhaus“ zu ersteigern. Was schon vor Beginn der Premiere als Hinweis auf das gefällige Bühnenbild gelesen werden konnte, mit dem Regisseur Matthew Ferraro Gounods Oper Faust ausgestattet hatte. Und es kam noch besser: Während des kurzen Vorspiels gab es keinerlei Regie-Zutat auf der Bühne, sondern nur die Projektion des Werktitels, der vom früher gebräuchlichen deutschen Titel Margarete überblendet wurde - ein dezenter Hinweis auf die Geschichte der französischen Oper nach Goethes Drama Faust I.

In der eröffnenden Studierzimmer-Szene sitzt dann tatsächlich ein auf alt gestylter Sänger auf der Bühne, flankiert nur im Hintergrund von einem Hausdiener im Anzug, der sich später als Mephistopheles entpuppt - anstelle der sprichwörtlichen Feder schmückt ihn ein überlanger Pferdeschwanz. Er verführt den alten Faust mit einem projizierten Mädchenbild, sich ihm und seiner ulkigen Zeitmaschine anzuvertrauen, um als junger Mann diese Marguerite zu treffen.

Altvertraute Bilder mit ein paar netten modernen Akzenten: So funktioniert diese Inszenierung, die nicht aneckt, sondern vor allem der Musik zu glanzvoller Wirkung verhilft. Das gilt besonders für die Chöre, die effektvoll nach vorne singen und möglichst an der Rampe arrangiert sind. Dass die Soldaten im dritten Akt sich erst komisch verbiegen und dann einander erschießen, ist allerdings ein szenischer Missgriff - ähnlich wie die Flammenprojektion zu den herumgeworfenen Büchern, deren Assoziation dramaturgisch unbegründet wirkt. An anderer Stelle zeitigt das Verfahren des Regisseurs, einzelne Bildideen ohne zwingenden Kontext umzusetzen, schöne Ergebnisse: So wecken die große Teufelspuppe und die bisweilen eingesetzten Zwischenvorhänge Erinnerungen an Jahrmarkts- und Puppentheater. In der Walpurgisnacht kehren Bilder des ersten Akts als expressionistische Stummfilmsequenzen wieder - auch sehenswert.

Hörenswert ist diese Produktion in jeder Minute der knapp dreistündigen Spieldauer (plus Pause). Denn obwohl es bei der Premiere krankheitsbedingte Änderungen und Rücksichten gab, wurde ansprechend bis begeisternd gesungen. So präsentierte sich Almas Svilpa als nicht nur darstellerisch stattlicher Gast-Mephisto, der den großen Ambitus seiner Partie ebenso souverän im Griff hatte wie seinen Faust: Das Couplet vom goldenen Kalb war eine Wucht. Dem Titelhelden Sangmin Jeon war in der fordernden Rolle erfreulich an französischer Tenor-Eleganz gelegen, sein „Je t’aime“ klang ebenso gefühlvoll angestimmt wie die Duett-Passagen mit Marguerite. Für diese gewissermaßen zweite Titelrolle brauchte sich Margaux de Valensart dann offenbar doch nicht zu schonen, ihre Juwelen-Verzierungen glänzten. Sowohl diese drei Protagonisten als auch das übrige Ensemble und die starken Chöre hatten aber auch die denkbar beste Unterstützung aus dem Orchestergraben. Denn wie Dirigent Johannes Witt mit dem Sinfonieorchester Wuppertal die ebenso raffinierte wie melodienselige Musik Gounods ausbreitete, das war fantastisch. Beispielhaft der dritte Akt (nach alter Zählung wäre es der vierte, aber in Wuppertal bezieht man sich natürlich auf die kritische Neuausgabe des Werks): So aufregend wie klanglich rund setzten die Streicher zunächst Marguerites banges Warten um, dann aber steigerte sich das Orchester zu furiosen Attacken für Mephistos Untaten. Nicht minder betörend die Holzbläsersoli, die die widerstreitenden Gefühle Marguerites illustrierten. Kurzum: Wer bei Gounods Kunst auf seine Kosten kommen möchte, kann sich Johannes Witts Interpretation bedenkenlos anvertrauen.